Olympos
unmöglich, aber es musste so sein. Als das orangerote Licht des Sonnenuntergangs nun ein wenig schwächer auf die Türme und die Kuppel fiel, sah Daeman ein rotes Leuchten durchs Eis heraufsteigen – ein rotes Pulsieren, das nur aus dem Krater ko m men konnte.
Sein zweiter Gedanke war: Ich muss dort hinein.
Wenn Setebos noch hier in Paris-Krater war, würde er dort wa r ten. Wenn Caliban hier war, würde er in der Kuppel sein.
Mit vor Kälte zitternden Händen – vor Kälte, sagte er sich i m mer wieder – kehrte Daeman zu der Eiswand zurück, befestigte das Seil an einem Bambus-Drei-Träger, der aus dem blauen Eis ragte, und ließ sich wieder in die wartende Spalte hinab.
Auf dem Boden der schmalen Eisschlucht war es bereits du n kel – wenn er nach oben schaute, sah er die Sterne am verbla s senden Himmel –, und der einzige Weg vorwärts von der Île de la Cité führte in einen der vielen kleinen Tunnels hinein, die sich wie Augen im Eis öffneten, Tunnels, in denen es noch dunkler sein würde.
Daeman fand eine Tunnelöffnung ungefähr in Brusthöhe über dem Boden der Spalte, kroch hinein und spürte, wie die noch ti e fere Kälte durch das Eis in seine Knie und Handflächen drang. Nur die Thermohaut erhielt ihn hier am Leben. Nur die Osmos e maske verhinderte, dass ihm der Atem in der Kehle gefror.
Nach Möglichkeit auf den Knien rutschend – sein Rucksack schabte an der immer niedriger werdenden Eisdecke über ihm –, kroch er, die Armbrust vor sich ausgestreckt, bäuchlings auf den roten Lichtschein in der Kuppel-Kathedrale zu.
37
Hockenberry kommt in die Astrogationskuppel, um sich Ody s seus zu stellen und vielleicht eine Tracht Prügel von ihm zu b e ziehen, aber dann bleibt er dort und betrinkt sich mit ihm.
Es hat über eine Woche gedauert, bis Hockenberry den Mut au f gebracht hat, mit dem einzigen anderen Menschen an Bord zu sprechen, und als er es schließlich tut, hat die Queen Mab bereits den Punkt für ihr Wendemanöver erreicht, und die Moravecs h a ben ihn gewarnt, dass vierundzwanzig Stunden lang Schwerel o sigkeit herrschen wird, während sich das Schiff mit dem Heck zur Erde dreht, bis die Bomben erneut zu detonieren beginnen und die 1,28-fache Erdschwerkraft während der Bremsphase wieder zurückkehrt. Mahnmut und Hauptintegr a tor Asteague/Che sind beide zu ihm gekommen, um sich zu vergewissern, dass seine Kabine freifallsicher ist – das heißt, dass alle scharfen Kanten g e polstert und alle losen Dinge ve r staut sind, damit sie nicht durch die Gegend schweben, und dass Klett-Schuhe und Klett-Matten vorhanden sind –, aber niemand hat Hockenberry darauf hing e wiesen, dass viele Menschen bei Schwerelosigkeit in starkem M a ße seekrank werden.
Hockenberry wird es. Mehrfach. Sein Innenohr sagt ihm i m mer wieder, dass er unkontrolliert in die Tiefe stürzt, es gibt keinen Horizont, auf den er sich konzentrieren könnte – seine Kabine hat weder ein Fenster noch eine Luke, überhaupt nichts zum Hinau s schauen –, und da die Toilettenanlage so konstr u iert ist, dass sie nur bei den vorherrschenden 1,28 g richtig funktioniert, lernt H o ckenberry rasch, wie man die Spuckbeutel benutzt, die Mahnmut ihm bringt, sobald er verkündet, dass ihm wieder schlecht wird.
Aber sechs Stunden Übelkeit reichen, und endlich geht es dem Scholiker etwas besser. Allmählich macht es ihm sogar Spaß, sich abzustoßen und in der gepolsterten Kabine heru m zuschweben, von seiner festgeschraubten Liege zu seinem gut befestigten Schreibtisch. Schließlich bittet er um die Erlaubnis, sein Quartier zu verlassen, die Erlaubnis wird ihm sofort g e währt, und dann amüsiert Hockenberry sich prächtig, als er durch lange Korridore schwebt, sich durch die Treppenschächte des großen Schiffes kickt, die in einer nunmehr wahrhaft dreidimensionalen Welt so albern wirken, und sich in dem wundervoll byzantinischen M a schinenraum von einem Halt e griff zum nächsten zieht. Mahnmut fungiert währenddessen als sein treuer Assistent, der dafür sorgt, dass Hockenberry im Maschinenraum keinen falschen Hebel a n fasst und nicht vergisst, dass die Dinge hier noch Masse haben, obwohl sie gewichtslos wirken.
Als Hockenberry ankündigt, er wolle Odysseus besuchen, e r klärt ihm Mahnmut, der Grieche sei in der vorderen Astrogat i onskuppel, und f ü hrt ihn dorthin. Hockenberry weiß, dass er den kleinen Moravec fortschicken sollte – dass dies ein G e spräch unter vier Augen zwischen den beiden
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