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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Erde kreisende Schwarzloch-Maschine auf Kollisionskurs mit der Insel gebracht hatte, war es nur allzu gut möglich, dass Caliban D a eman auch als seine Nemesis betrachtete.
    Daeman hoffte es, obwohl bei der Vorstellung, erneut gegen die Kreatur zu kämpfen, sein Mund noch trockener und seine Han d flächen noch feuchter wurden. Aber dann dachte er d a ran, wie er den Schädel seiner Mutter in den Händen gehalten hatte, dachte an die höhnische Beleidigung dieser Schädelpyramide – eine B e leidigung, zu der nur Caliban fähig war, Sycorax Kind, Prosperos Geschöpf, Anbeter jenes Gottes willkürlicher Gewalt namens Setebos –, und er ging weiter, seine Armbrust mit ihren beiden unzulänglichen, aber angespitzten und mit Widerhaken verseh e nen Bolzen gespannt und schus s bereit.
    Er befand sich im tiefen Schatten eines weiteren großen Übe r hangs, als er die Gestalten sah, die aus dem blauen Eis hervortr a ten. Diesmal waren es keine eingefrorenen Voynixe; es schienen Menschen zu sein, äußerst muskulöse Riesen mit verrenkten Gliedern, blaugrauer Haut und leeren, nach oben gewandten A u gen.
    Daeman hatte seine Armbrust angelegt und war dreißig Seku n den lang wie angewurzelt stehen geblieben, bevor ihm klar wu r de, was er dort vor sich sah.
    Statuen. Die wahre Bedeutung dieses Wortes hatte er von Ha n nah gelernt – Stein oder ein anderes Material, geformt zu mensc h licher Gestalt. Im Paris-Krater und der Faxwelt seiner Jugend ha t te es keine »Statuen« gegeben, und es war erst ungefähr zehn M o nate her, dass er zum ersten Mal eine gesehen hatte: auf der Go l den Gate bei Machu Picchu. Dieses Bauwerk, o der zumindest die grünen Wohnkugeln, die sich wie Efeu d a ran festklammerten, war eher ein Museum als eine Brücke, aber erst Hannah – die i m mer daran interessiert war, Metall zu schmelzen und in Formen zu gießen – hatte ihm erklären können, dass die menschlichen G e stalten, die sie dort vor sich s a hen, »Statuen« waren, Kunstwerke – ebenfalls eine fremdartige Vorstellung. Offensichtlich hatten diese Statuen keinen anderen Daseinszweck, als das Auge zu e r freuen. Daeman musste selbst jetzt über eine Erinnerung an die Brücke lächeln: Sie hatten Odysseus – jetzt Noman – für eine di e ser Museumsstatuen g e halten, bis er sich bewegt und mit ihnen gesprochen hatte.
    Diese Gestalten bewegten sich nicht. Daeman trat näher und ließ die Armbrust sinken.
    Die Figuren waren riesig – mehr als doppelt lebensgroß – und standen aus dem Eis hervor, weil das uralte Gebäude, zu dem sie gehörten, sich nach vorn geneigt hatte. Die stein- oder betongra u en Gestalten waren alle gleich – ein bartloser Mann mit Locken um die graue Masse, die sein Haar darstellen sollte, nackt bis auf ein kleines ärmelloses Hemd, das über seine Taille emporgezogen war. Der linke Arm war erhoben und gebeugt, die Hand lag am Hinterkopf. Der rechte Arm war massiv, mu s kulös, an Ellbogen und Handgelenk gebeugt, und die riesige rechte Hand ruhte d i rekt unte r halb der Brust auf dem bloßen Bauch des Mannes und schob die grauen Betonfalten des He m des nach oben. Sein rechtes Bein war die einzige andere sich t bare Gliedmaße; es krümmte sich aus der Fassade des Gebäudes. Irgendein Sims oder Grat über kleinen Fenstern zog sich durch die Reihe identischer männlicher Statuen, als würde er ihre Hüften durchbohren.
    Daeman trat näher. Seine Augen passten sich an die Dunke l heit unter dem Blaueis-Überhang an. Der Kopf des Mannes – der »St a tue« – war zur rechten Seite geneigt, die graue Wange berührte beinahe die graue Schulter, und es fiel Daeman schwer, den Au s druck des gemeißelten Gesichts zu beschreiben – geschlossene Augen, aufwärts gebogene, geschürzte Lippen. War es Tode s qual? Oder ein orgasmisches Vergnügen? Es konnte beides sein – vielleicht auch eine kompliziertere Emot i on, die den damaligen Menschen bekannt und in Daemans Zeit verloren gegangen war. Die lange Reihe identischer Gestalten, die sowohl aus der Fassade der uralten Ruine als auch aus der Mauer aus blauem Eis hervo r traten, ließ Daeman an eine ta n zende Reihe affektiert lächelnder Männer denken, die sich für ein unsichtbares Publikum auszogen. Was war das für ein Gebäude gewesen? Wozu hatten die Alten es b e nutzt? Weshalb diese Verzi e rung?
    In der Nähe waren Buchstaben auf der Fassade – nach seinen Monaten mit Harman und nachdem er selbst die Sigl-Funktion erlernt hatte, erkannte Daeman sie

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