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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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anderen gesehen hatte.
    Harman aktivierte ruhende Biofeedback-Funktionen – zu spät – und erhielt die Informationen, die er befürchtet hatte. Der Torpedoraum war von latenter Strahlung erfüllt. Zwar waren die Leckage-Werte der beschädigten Torpedo-Fusionssprengköpfe sicher schon längst unter den tödlichen Bereich abgesunken, aber dabei mussten sie im vorderen Teil des U-Boots alles ve r strahlt haben.
    Nein – die Sensoren zeigten ihm, dass die Strahlung vor ihm, achtern vom Torpedoraum, noch schlimmer war. In diese Ric h tung musste er gehen, wenn er mehr über dieses Werkzeug des Todes erfahren wollte. Vielleicht hatte der Fusionsreaktor, der dieses obszöne Boot angetrieben hatte, all diese Jahrhunderte hindurch ein wenig geleckt. Vor ihm war eine radioaktive Hö l le.
    Harman kannte sich mit seinen neuen biometrischen Funkti o nen gerade eben gut genug aus, um zu wissen, dass er die D a ten-Monitore befragen konnte. Das tat er jetzt, aber er stellte ihnen nur die denkbar einfachste Frage: Wird die Thermohaut mich ausreichend vor dieser Radioaktivität schützen?
    Die Antwort kam in seiner inneren Stimme und war unmis s verständlich: Nein.
    Es war Wahnsinn weiterzugehen. Er hatte auch nicht den Mut, diese schwarze Wasserwand zu durchqueren, hinein in den Mahlstrom der Strahlung, und durch den Rest des überfl u teten Torpedoraums bis zur Dunkelheit und Kälte der Off i ziersmesse und der Mannschaftsmesse vorzudringen, wo alte Geigerzähler außer Rand und Band geraten und Nadeln am obersten Anschlag festgeklebt wären, dann noch einmal au f wärts und einen Gang entlang, vorbei am Horch- und Fun k raum, zum unter Wasser liegenden Kommando- und Kontrol l zentrum – eine unmögliche, furchteinflößende, Zellen tötende Strecke, die einem eiskalte Schauer über den Rücken jagte.
    Es war buchstäblich Wahnsinn, in diesem bösartigen Schiff s körper zu bleiben, geschweige denn, noch tiefer hineinzugehen. Es bedeutete den Tod – seinen eigenen Tod, den Tod für die Hoffnungen seiner Gattung, für Adas Vertrauen in seine Rüc k kehr, für das Bedürfnis seines ungeborenen Ki ndes, in dieser schrecklichsten und gefährlichsten aller Zeiten einen Vater zu haben. Das Ende jeder Zukunft.
    Aber er musste es wissen. Die Quantenüberreste der Torp e dosprengkopf-KI hatten ihm gerade genug erzählt, dass er die Antwort auf eine einzige, schreckliche Frage finden musste. Also tat Harman genau das: Er ging vorwärts – einen ängstl i chen Schritt nach dem andern.
    Nach drei Tagen und Nächten im Bruch schob er sich nun zum ersten Mal durch die Wasserwand. Es war ein semiperm e ables Kraftfeld, genau wie diejenigen, die er zuvor auf Pro s peros Orbitalinsel durchquert hatte – und jetzt wusste Harman, was »semipermeabel« bedeutete: Das Feld erlaubte es Altme n schen oder Nachmenschen, einen ansonsten undurchdringl i chen Schild zu passieren –, aber diesmal trat er aus der Luft und der Wärme in Kälte, Druck und Dunkelheit.
    Harman vertraute darauf, dass ihn die Thermohaut vor den Auswirkungen der Tiefe, wenn auch nicht vor der Strahlung schützen würde, und das tat sie; er verzichtete sogar darauf, Daten aufzurufen, von denen er wusste, dass er sie besaß, D a ten über die Konstruktion und die Funktionsweise der The r mohaut. Es war ihm egal, wie sie es anstellte, den Wasserdruck von ihm abzuhalten – ihn interessierte nur, dass sie es tat.
    Seine Brustlampen erhöhten automatisch ihre Lichtstärke, um mit den Reflexionen und dem dichten, schwebstoffreichen Wasser fertig zu werden.
    Während die trockenen Teile des Torpedoraums steril gew e sen waren, wimmelte es in den unter Wasser liegenden Teilen des U-Boots von lebenden Organismen. Was immer sich hier halten konnte, es überlebte nicht trotz, sondern wegen der sta r ken Strahlung; es ernährte sich von ihr, blühte und gedieh mit ihrer Hilfe. Jede Metallfläche war unter Schichten mutierter K o rallen und Massen grün, rosa und bläulich-grau leuchtender lebender Materie begraben, deren Haarkränze und Ranken leicht in unmerklichen Strömungen wehten. Krebsartige Wesen flohen eilig aus seinem Lichtstrahl. Ein blutroter Aal schoss aus einem Loch in der ehemaligen Achterluke des Torpedoraums und zog dann den Kopf zurück, sodass nur seine Zahnreihen im Licht glitzerten. Harman hielt Abstand von ihm, als er sich durch diese verkrustete Luke zwängte.
    Dank der toten Sprengkopf-KI verfügte er über eine grobe Schemazeichnung des Schiffes – sie war

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