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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dem Schluss gelangt, dass Proust und Joyce die Denker waren, die diesen Jahrhunderten Geburtshilfe g e leistet hatten.«
    »Keine positive Empfehlung, wenn mein historisches G e dächtnis nicht trügt«, sagte Mahnmut leise.
    »Nein. Ich meine, ja.«
    Schweigend flogen sie ein paar Minuten weiter.
    »Möchtest du ein Gedicht hören, auf das ich als kleines M o ravec-Junges gestoßen bin, frisch aus den Zuchtbottichen und Fabrikwaben?«
    Mahnmut versuchte, sich einen neugeborenen Orphu von Io vorzustellen, gab es dann aber auf. »Ja«, sagte er. »Schieß los.«
    Mahnmut hatte seinen Freund mit der tiefen Stimme noch nie ein Gedicht vortragen hören. Es war ein seltsam angenehmer Klang:
     
    Totgeboren I.
    Der kleine Rudy Bloom, rotwangig im Mutterschoß
    Rotes Licht durchdringt seine schläfrigen, unkonzentrierten Beobachtungen
    Mit langen Nadeln klickernd, s trickt Molly rote Wolle für ihn
    Spürt die Bewegungen seiner kleinen Füße im Lei b
    Winzige Fötusträume erfüllen ihn, bereiten ihn auf den Geruch der Decken vor
     
    II.
     
    Ein Mann tupft sich mit einer roten Serviette behutsam die Lippen ab
    Den Blick auf ein Meer von Wolken gerichtet, die hinter hohen Ziegelkaminen vorbeitreiben
    Versunken in die plötzliche Erinnerung an sich reibende Weißdornhalme im Sturm
    Die kleine Hände nach flatternden rosa Blütenblättern recken
    Der Geruch längst vergangener Tage steigt in seine hängenden Nasenflügel
     
    III.
     
    Elf Tage. Elfmal die Lebensspanne eines winzigen Geschöpf, das einen Kokon verlässt
    Elf stille-getönte, warme Morgen mit wandernden Schatten auf Dielenbrettern
    Elftausend Herzschläge, bevor die Nacht hereinbrach und die E nten den fernen Teich verließen
    Elf zeigten der lange und kurze Zeiger, als sie ihn an ihrer Brust hielt
    Elf Tage lang betrachteten sie seinen rosafarbenen Leib, der in roter Wolle schlief
     
    IV.
     
    Fragmente des Romans wa ren in seiner Fantasie gebunden
    Aber lose Blätter trieben durch die dunklen Kanäle seines Geistes
    Einige waren leer, andere ent hielten nur Fußnoten
    Stoisch hatte er die Wehen seiner Fantasie ertragen
    Doch zu Tinte geronnen, überlebten die Erinnerungen nicht die Nacht
     
    Als das I oniergerumpel auf ihrem privaten Kanal erstarb, schwieg Mahnmut einen Moment lang und versuchte, die Qu a lität des Werks zu beurteilen. Es fiel ihm schwer, aber er wus s te, dass es Orphu von Io eine Menge bedeutete – die Stimme des riesigen Moravecs hatte gegen Ende beinahe gezittert.
    »Von wem ist das?«, fragte Mahnmut.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Orphu. »Von irgendeiner Dichterin aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, deren Name mitsamt dem ganzen Untergegangenen Zeitalter untergegangen ist. Vergiss nicht, ich bin darauf gestoßen, als ich jung war – bevor ich wirklich Proust oder Joyce oder irgendeinen anderen erns t haften menschlichen Schriftsteller gelesen habe –, aber durch diese paar Verse wurden Joyce und Proust für mich zwei u n trennbare Facetten eines einzigen Bewusstseins. Eine Singular i tät menschlicher Schöpferkraft und menschlichen Einfühlung s vermögens. Über diese Sichtweise bin ich nie richtig hinwegg e kommen.«
    »Mir ist es ganz ähnlich gegangen, als ich zum ersten Mal auf Shakespeares Sonette gestoßen bin … «, begann Mahnmut.
    »Schaltet auf das von der Queen Mab weitergeleitete Bildmat e rial«, befahl Suma IV. allen an Bord.
    Mahnmut aktivierte den Bildkanal.
    Zwei Menschen kopulierten wild auf einem ausladenden Bett aus Seidenlaken und bunten Wollgobelins. Ihre Energie und Ernsthaftigkeit verblüffte Mahnmut, der genug über menschl i chen Geschlechtsverkehr gelesen hatte, jedoch nie auf die Idee gekommen war, sich eine entsprechende Videoaufzeichnung aus dem Archiv anzusehen.
    »Was ist da los?«, fragte Orphu auf ihrer privaten Leitung. »Ich bekomme wüste telemetrische Daten herein – in schwi n delnde Höhen steigende Blutdruck-Niveaus, Dopaminflüsse, Adrenalin, heftiger Herzschlag – findet da irgendwo ein Kampf auf Leben und Tod statt?«
    »Äh … «, sagte Mahnmut. Die immer noch vereinigten Gesta l ten rollten sich herum und bewegten sich rhythmisch, beinahe fieberhaft, und der Moravec sah das Gesicht des Mannes zum ersten Mal deutlich.
    Odysseus. Die Frau schien diese Sycorax zu sein, die ihren achäischen Passagier in der orbitalen Asteroidenstadt empfa n gen hatte. Aller Einschränkungen enthoben, wirkten ihre Brüste und Pobacken jetzt sogar noch größer, obwohl die Brüste der Frau in

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