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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Stätte gemacht hatten.
    Ein jeder Stein hier trägt einen Namen. Die Worte erschienen wie aus dem Nichts in Mahnmuts Bewusstsein. Wer hatte das g e schrieben? Lucanus? Vielleicht. Wahrscheinlich.
    Auf der Hügelkuppe waren nun nur ein paar grauweiße Na r ben in seiner Ruhe gestörten Gesteins zu sehen, ein Wirrwarr aus samt und sonders namenlosen Steinen. Mahnmut erkannte, dass er auf die Ruinen von Ruinen blickte – einige dieser Kra t zer und Narben rührten wahrscheinlich von den unvorsicht i gen Grabungen und brutalen Freilegungen des Troja-Fanatikers und Amateurarchäologen Schliemann her, der hier 1870 zu a r beiten begonnen hatte – vor über viertausend Jahren, auf dieser echten Erde.
    Jetzt war nichts Besonderes mehr an dem Ort. Der letzte N a me, den er auf einer menschlichen Landkarte getragen hatte, lautete Hisarlik. Felsen, Macchia-Gestrüpp, eine Schwemmeb e ne, ein hoher Kamm, der nach Norden auf die Dardanellen und nach Westen auf die Ägäis blickte.
    Vor seinem geistigen Auge sah Mahnmut jedoch genau, wo auf der Ebene des Skamandros und der Ebene des Simoeis die Heere aufeinander geprallt waren. Er sah, wo die Mauern und die dachlosen Türme Iliums gestanden hatten, hoch oben, dort, wo der lange Kamm zur See hin abfiel. Zwischen der Stadt und dem Meer machte er noch einen weiteren dicht bewachsenen Hügel aus – die Griechen hatten ihn damals Batieía genannt, die Priester und Priesterinnen in den Tempeln Trojas jedoch oftmals »Grabmal der Myrine« –, und er erinnerte sich an den Anblick von Zeus ’ Gesicht in dem Atompilz, der vor gar nicht so vielen Monaten im Süden aufgestiegen war.
    Vor siebentausend Jahren.
    Als das Landeschiff seine letzte Runde beendete, erkannte Mahnmut, wo das große skäische Tor die schreienden Griechen aufgehalten hatte – in der Ilias, die Mahnmut miterlebt hatte, gab es kein großes Holzpferd; die große Hauptstraße im Innern führte am Marktplatz und den zentralen Brunnen vorbei, die alle auf Priamos ’ Palast zuliefen, der bei dem Bombardement vor über zehn Monaten – in Mahnmuts Zeit – zerstört worden war, und knapp nördlich vom Palast lag der große Athene-Tempel. Wo jetzt nur Steine warteten und Buschwerk wuchs, sah Mahnmut von Europa das verkehrsreiche dardanische Tor, und unmittelbar nördlich davon den großen Wachturm und den Brunnen, wo Helena einmal …
    »Hier ist nichts«, sagte ihr Pilot, Suma IV . über Bordfunk. »Ich fliege jetzt weiter.«
    »Ja«, sagte Mahnmut.
    »Ja«, rumpelte Orphu auf demselben Kanal.
    Sie wandten sich nach Norden, fuhren die Tragflächen für den langsamen Flug ein und durchbrachen erneut die Schal l grenze. Das Echo des Überschallknalls verhallte ungehört zu beiden Seiten der leeren Dardanellen.
     
    »Bist du aufgeregt?«, fragte Mahnmut seinen Freund auf i h rem privaten Kanal. »In ein paar Minuten sehen wir Paris.«
    »Einen Krater, wo früher einmal das Zentrum von Paris war«, antwortete Orphu. »Ich glaube, dieses schwarze Loch hat vor Jahrtausenden Prousts Wohnung ausradiert.«
    »Trotz alledem«, sagte Mahnmut, »dort hat er geschrieben. Und für eine Weile auch ein Bursche namens James Joyce, wenn ich mich recht entsinne.«
    Orphu ließ ein Rumpeln hören.
    »Warum hast du mir nie erzählt, dass du von Joyce ebenso fasziniert warst wie von Proust?«, beharrte Mahnmut.
    »Wir sind nie darauf zu sprechen gekommen.«
    »Aber wieso hast du dich ausgerechnet auf diese beiden ko n zentriert, Orphu?«
    »Und du, Mahnmut? Wieso Shakespeare? Weshalb seine S o nette und nicht seine Stücke? Warum die dunkle Dame und der Jüngling statt beispielsweise Hamlet?«
    »Nein, beantworte meine Frage«, sagte Mahnmut. »Bitte.«
    Einen Moment lang war es still. Mahnmut hörte die Ramjet-Triebwerke hinter und über ihnen, das Zischen des Sauerstoffs, der durch Nabelschnüre und Ventilatoren strömte, die ra u schende Leere der wichtigsten Kommunikationskanäle.
    Schließlich sagte Orphu: »Erinnerst du dich an mein G e schwafel oben in der Mab, dass große menschliche Künstler – Singularitäten der Schöpferkraft – neue Realitäten entstehen lassen können? Oder es uns zumindest ermöglichen, durch universale Branen dorthin zu gelangen?«
    »Wie könnte ich das vergessen? Keiner von uns wusste, ob das dein Ernst war.«
    »Es war mein Ernst«, rumpelte Orphu. »Mein Interesse an Menschen hat sich aufs zwanzigste bis zweiundzwanzigste Jahrhundert konzentriert, von Christus an gerechnet. Ich bin vor langer Zeit zu

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