Olympos
leihst?«, fragte Ada. Es war klar, dass sie Nomans Bitte aufgeschlossener gegenüberstand als die stirnrunzelnde Mehrheit des zerlumpten Zuhörerhaufens.
Noman zuckte die Achseln.
Einen Moment lang herrschte solche Stille, dass Daeman h ö ren konnte, wie sich zwei fast einen halben Kilometer entfernte Wachposten im Süden etwas zuriefen. Er drehte sich um; die spektrale Moira stand immer noch neben ihm, die Arme vor den Brüsten unter der Thermohaut verschränkt. So unglaublich es war, offenbar hatte sie keiner derjenigen sehen können, die aufgeblickt hatten, als die beiden sich der Gruppe näherten – darunter Ada, Noman und Boman, der Daeman anstarrte, seit er durchs Palisadentor hereingekommen war.
Noman streckte seine plumpen, kräftigen Hände aus, die Fi n ger gespreizt, als wollte er nach ihnen allen greifen – oder sie vielleicht alle wegstoßen. »Ihr wollt hören, dass ich ein Wunder für euch alle vollbringen werde«, sagte er leise, aber seine kraftvolle, rhetorisch ausgebildete Stimme hallte trotzdem von der Palisade wider. »Ein solches Wunder gibt es nicht. Wenn ihr mit dem Sonie hier bleibt, werdet ihr früher oder später g e tötet. Selbst wenn ihr euch auf dieser Insel flussabwärts in S i cherheit bringt, auf die ihr zu fliehen gedenkt, werden die Vo y nixe euch dorthin folgen. Sie kö n nen nach wie vor faxen, und nicht nur mittels der euch bekannten Faxknoten. Ihr seid inzw i schen von Zehntausenden von Voynixen umzingelt, die sich keine drei Kilometer von hier zusammenballen, während übe r all auf der Erde die letzten paar tausend menschlichen Überl e benden entweder flüchten oder sich in Höhlen, Türmen und den Ruinen ihrer alten Gemeinschaften verkriechen. Die Vo y nixe töten sie. Ihr habt den Vorteil, dass die Voynixe nicht a n greifen werden, solange dieses Setebos … Wesen in der Grube euer Gefangener ist. Aber binnen Tagen, wenn nicht Stunden, wird diese Setebos-Laus stark genug sein, um sich aus der Gr u be zu befreien und in euren Geist einzudringen. Glaubt mir, das wollt ihr bestimmt nicht erleben. Und am Ende werden die V o ynixe trotzdem kommen.«
»Umso mehr ein Grund, das Sonie für uns zu behalten!«, rief der Mann namens Caul.
Noman drehte die Handflächen nach oben. »Vielleicht. Aber bald wird es auf dieser Erde keinen Zufluchtsort mehr für euch geben. Glaubt ihr, nur ihr verfügt über eine Suchfunktion? Eure Funktionen arbeiten nicht mehr – die Suchfunktionen der Vo y nixe und Calibani hingegen schon. Sie werden euch finden. Selbst Setebos wird euch finden, wenn er damit fertig ist, sich an der Geschichte eures Planeten voll zu fressen.«
»Du scheinst uns keine Chance zu geben«, sagte Tom, der r u hige Heilkundige.
»Nein«, sagte Noman. Er hob jetzt die Stimme. »Es ist nicht an mir, euch eine Chance zu geben, obwohl ihr durch meine Reise zufällig eine bekommen könntet, wenn ich Erfolg habe. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich – ich will euch nicht belügen. Ihr habt Anspruch auf die Wahrheit. Aber Sonie hin oder her, wenn sich nichts Wichtiges ändert, sind die Chancen, dass ihr Erfolg habt – dass ihr überlebt –, gleich null.«
Daeman, der sich geschworen hatte, während der Diskussion den Mund zu halten, hörte sich rufen: »Können wir zu den Ringen fliegen, Noman? Das Sonie würde uns dorthin bringen – jeweils sechs Personen. Es hat mich von Prosperos Insel im Ä-Ring nach Hause gebracht. Wären wir in den Orbitalringen in S i cherheit?«
Alle Gesichter wandten sich ihm zu. Kein einziger Blick b e wegte sich dorthin, wo die schimmernde Moira stand, keine zwei Meter rechts von ihm.
»Nein«, sagte Noman. »In den Ringen wärt ihr auch nicht in Sicherheit.«
Die dunkelhaarige Frau namens Edide stand plötzlich auf. Sie schien gleichzeitig zu weinen und zu lachen. »Verdammt noch mal, du gibst uns nicht die geringste Chance!«
Zum ersten Mal lächelte Odysseus/Noman – provozierend, aufreizend. Seine Zähne hoben sich weiß gegen seinen größte n teils grauen Bart ab. »Es ist nicht an mir, euch eine Chance zu geben«, sagte er grob. »Diese Entscheidung liegt ganz allein bei den Schicksalsgöttinnen. Heute ist es an euch, mir eine Chance zu geben … oder nicht.«
Ada trat vor. »Stimmen wir ab. Bei dieser Abstimmung sollte sich niemand enthalten, denke ich, weil alles davon abhängen kann. Diejenigen, die dafür sind, Odysseus … Verzeihung, ich meine Noman … unser Sonie zu überlassen, bitte hebt eure rechte Hand.
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