Oma dreht auf
Brockstedt zum Gatter hinter der Terrasse. Dort bot sich ihr ein seltsamer Anblick: Auf der großen Kuhweide mit den vielen gelben Butterblumen standen Herr und Frau Bösinger in ihren Bademänteln und hoben mit geschlossenen Augen die Hände zum Himmel.
«Herr, vergib uns! Und vergib diesen Leuten!», flehte Herr Bösinger.
«Herr und Frau Bösinger!», unterbrach Brockstedt sie entschlossen.
Jetzt öffneten beide die Augen und drehten sich erschrocken zu dem Polizisten um.
«Was wollen Sie von uns?»
Brockstedt zückte einen Zettel.
«Das ist eine Vorladung ins Polizeirevier.»
«Diese Leute stehen unter meinem Schutz!», rief Imke spontan.
Brockstedt ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
«Gegen Sie beide liegen Strafanzeigen vor, und zwar wegen Beamtenbeleidigung, Körperverletzung und Behinderung der Justiz.»
Imke verstand die Welt nicht mehr: Die Bösingers? Eine Strafanzeige?
«Gerald, das ist Unsinn», sagte sie, «ich war gestern Abend selbst dabei, da war nichts. Du tust gerade so, als ob Arne und die Bösingers Verbrecher sind!»
Brockstedt zuckte mit den Achseln.
«Der Herr Jesus Christus ist an einem Freitag wie heute gekreuzigt worden», murmelte Frau Bösinger.
«Jetzt hören Sie mal ganz genau zu», wandte sich Bösinger an den Polizisten. «Ich stelle eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sie. Des Weiteren erstatte ich Anzeige gegen Herrn Ocke Hansen, Frau Christa Soundso und Frau Imke Riewerts wegen Drogenhandels, Drogenmissbrauchs und Körperverletzung durch heimlich Abgabe von Drogen.»
Imke schüttelte bekümmert den Kopf. Irgendwie war alles durcheinander – lag das an ihr?
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11. Badeverbot
Als Sönke über den schmalen Weg durch die Dünen zum Nieblumer Strand kam, winkte Maria ihm heftig gestikulierend aus dem Wasser zu. Sie wohnten nun schon zwei Jahre in dem kleinen Reetdachhäuschen in Nieblum, was er keinen Tag bereut hatte. Seine Hamburger Freunde fragten ihn bei jedem Telefonat nach dem Inselkoller, doch der wollte sich einfach nicht einstellen. Der beste Beweis: Gerade hatte Sönke eine Woche Urlaub von seinem Job in der Kurverwaltung, und er verbrachte ihn dort, wo er auch wohnte: auf der Insel Föhr!
Er schaute prüfend in den Himmel und hoffte, dass die riesige Wolke bald verschwinden würde, um Platz für die Sonne zu machen. Aber auch bei diesem Wetter war es am Strand so voll wie bei Sonnenschein. Der feine Sand unter seinen Füßen fühlte sich noch etwas feucht und kühl an, was die Stammgäste in ihren Strandkörben wenig kümmerte. Sie wussten, wie schnell sich das Wetter am Meer änderte, und braun wurden sie auch so. Es war ja nicht kalt, immerhin war es August. Also lasen sie ihre Zeitungen und Bücher wie sonst auch, dösten vor sich hin oder schauten einfach ins Nichts, um ihre Gedanken schweifen zu lassen. Die älteren Kinder spielten Beachvolleyball, während die Kleinen ihre Phantasiestädte in den Sand buddelten.
Alles war gut.
Zu den lustigsten Erlebnissen auf Föhr zählte für Sönke die Begegnung mit einer Schülergruppe aus Süditalien, die sich letzten Sommer auf die Insel verirrt hatte. Während Insulaner und Touristen den Tag auch bei bedecktem Himmel in Badehose und Bikini genossen, trugen die Italiener Jacken. Sie waren fassungslos darüber, dass die Menschen bei 19 Grad ins Wasser sprangen. Bei der anschließenden Diskussion kam man zu dem Ergebnis, dass Europa angesichts der unterschiedlichen Badetemperaturen nur schwer zusammenwachsen konnte. Was die wenigsten wussten: Um Föhr herum befand sich eine Art geheizte Naturbadewanne, denn das Nordseewasser wird im flachen Wattenmeer besonders schnell von der Sonne erwärmt.
Sönke zog sich um, warf sich kopfüber in die frische See und kraulte zu Maria. Als er sie erreicht hatte, tauchten sie zusammen ab, umarmten und küssten sich unter Wasser, bis sie keine Luft mehr kriegten, dann kamen sie schnaufend wieder hoch.
«Brille wieder klar?», keuchte Maria.
«Perfekt.»
Der Heavy-Metal-Gitarrist mit dem runden Gesicht hatte ihm auf Omas Fete mit einer ungestümen Armbewegung seine Brille heruntergerissen und war anschließend aus Versehen draufgetreten. Sönke war deswegen nach dem Frühstück kurz zu seiner Tante Regina gefahren, die das Gestell in ihrem kleinen Wyker Optikerladen wieder hergerichtet hatte.
«Und wie geht es dir, meine große Liebe?», fragte Sönke.
«Mir ist immer noch etwas schlecht», sagte Maria.
«Omas Bowle war schon
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