Oma dreht auf
halten.
Sie betrat das Haus und ging über den schattigen Flur in die Küche. Es war nichts zu hören, Ocke und Christa schienen nicht da zu sein. Sie setzte ihre Brille auf, gab ein paar gehäufte Löffel Kaffeepulver in die Kaffeemaschine, füllte Wasser ein und stellte sie an. Ein starker Bohnenkaffee würde ihr guttun. Erst als sie sich an den Küchentisch setzen wollte, fiel ihr auf, dass vor der Anrichte mindestens ein Dutzend Umzugskartons standen.
Was hatte das zu bedeuten?
Plötzlich hörte sie ein Geräusch aus Ockes Zimmer. Er war also doch da? Sie ging hin und blickte auf das pure Chaos. Ocke hatte all seine Bücher kreuz und quer auf den Boden geworfen und war gerade dabei, sein Regal von der Wand zu schrauben. Das Foto von der Gorch Fock lag neben dem Schreibtisch auf dem Boden. Ohne nachzudenken, stürmte Imke auf ihn zu und warf sich ihm um den Hals. Nirgendwo fühlte sie sich sicherer als in den Armen ihres starken Mitbewohners, der immer einen festen Stand zu haben schien. Eigentlich wollte sie ihm beichten, dass sie sich, ohne ihn zu fragen, sein Mofa geliehen hatte, aber zuerst musste die gute Nachricht raus.
«Stell dir vor, ich war eben mit Brockstedt angeln.»
«So?»
«Mit Glück habe ich damit Arne bei der Polizei rausgehauen.»
«Sehr gut.»
«Mehr nicht? Kein Wort der Anerkennung? So etwas wie, ‹Hey, Imke, wie hast du das hinbekommen?›?»
Ocke schaute sie traurig an. «Hast du gut gemacht.» Er faltete einen Umzugskarton auf und legte seine Wetterstation behutsam hinein.
«Du hast doch erst gerade renoviert», wunderte sich Imke.
Ocke legte mehrere Lagen Zeitungspapier über die Wetterstation und packte darüber seine messingfarbene Tischlampe mit dem Zugschalter aus einer Perlmuttkette aus Malaysia.
«Ich ziehe aus.»
Imke hörte die Worte wohl, konnte sie aber nicht glauben.
«Nein.»
Ocke schraubte weiter an seinem Regal herum.
«Tut mir leid, es geht nicht anders.»
«Warum?»
Sie nahm das Bild von der Gorch Fock in die Hand, stellte es mit der Rückseite nach vorne. Irgendetwas stand dort geschrieben. Sie setzte ihre Brille auf und konnte nun deutlich Ockes Thesen lesen:
Was gar nicht geht:
Nach jedem Duschen bleiben Schamhaare im Abfluss!
Versucht ihr, Pilze in gebrauchten Kaffeebechern zu züchten, die ihr auf dem Dachboden lagert?
Holzbrettchen bekommen Risse, wenn sie nass werden. Sie haben nichts in der Spülmaschine zu suchen!
Meine Zeichenstifte verleihe ich gerne – wenn man mich fragt!
Imke nahm die Brille ab und schaute Ocke stirnrunzelnd an.
«Deswegen?»
«Nee», murmelte Ocke.
«Von den Schamhaaren in der Dusche habe ich nicht mal etwas geahnt!»
Ocke schüttelte den Kopf: «Es hat nichts damit zu tun.»
«Geld oder Liebe?», Imke nahm ihm den Schraubenzieher aus der Hand.
Da Ocke ihrem Blick auswich, lag die Lösung auf der Hand.
«Also Liebe.»
Ocke nahm den Schraubenzieher wieder an sich, setzte sich mit verschränkten Armen auf die Couch und schaute unglücklich aus dem Fenster. Draußen war bestes Sonnenwetter, viel zu schade, um trübe in der Bude zu sitzen.
«Kenne ich sie?», fragte Imke.
Ocke nickte.
«Wer?»
Ocke verschränkte die Arme vor dem Bauch. «Sage ich nicht!»
«Wer?»
«Ist doch egal.»
«Lass mich raten – Rita vom Edeka-Markt in Utersum?»
Rita war die attraktive fünfzigjährige Kassiererin mit dem riesigen Busen, mit der Ocke an der Kasse gerne mal einen Klönschnack hatte. Nach großer Liebe hatte das für sie nicht ausgesehen. Aber selbst wenn, war das ein Grund auszuziehen?
«Christa.»
Imkes Augen flackerten begeistert auf: «Du hast dich in Christa verliebt?»
«Wehe, du sagst es ihr, Imke! Hast du gehört?»
Imke strahlte. «Wie toll!»
Ocke haute wütend mit der Hand auf die Armlehne seines roten Sofas.
«Was soll daran toll sein? Du hast doch selbst mitbekommen, dass Christa einen anderen hat. Der mit dem Köter. Sie hat ihn auf der Party geküsst, direkt auf den Mund!»
«Er war auf unserer Party? Da war ich wohl schon im Bett.»
«Ja. Und weißt du, wer es ist? Unser Vermieter, Stefan Petersen. Kommt aus Hannover und greift hier unsere Frauen ab.»
Das hatte Imke nicht erwartet. Ausgerechnet Petersen, dieser Angeber. Sie ließ sich ihr Entsetzen aber nicht anmerken.
«Na und? Woher willst du wissen, dass der Kuss ernst gemeint war?»
Ocke sah schwermütig aus dem Fenster.
«Frauen bringen nur Unglück.»
«Aber nur an Bord, dachte ich. – Und wie geht es nun weiter?»
«Jetzt
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