Oma ihr klein Häuschen
Maske hättest du dich selbst nicht wiedererkannt.»
«Ich bin so froh, dass du mich gefunden hast, Sönke.»
Die blondierte Sängerin in der Kurmuschel singt jetzt ein Lied über den harten Winter in ihrer Heimat, der Taiga, und über dem Frost trotzende Menschen. So hört sich zumindest ihre Interpretation von Michael Jacksons
Beat it
an. Das Tempo steigert sich langsam, wie bei
Kalinka
, zwischendurch fordert sie das Publikum immer wieder auf mitzuklatschen, doch die Zuhörer reagieren eher zögerlich.
Beat it
wird immer schneller, bis es im Chaos endet und abrupt abbricht. Vielleicht sollten wir doch lieber nach hinten gehen.
«Auf dem Küchentisch steht mein Geschenk für dich», versuche ich Oma aufzumuntern.
«Später, ja?»
Oma Imke starrt über die Promenade hinweg aufs Meer.
«Was war denn überhaupt los mit dir?», erkundige ich mich vorsichtig. Plötzlich weint sie erneut. Mist, das wollte ich nicht.
«Dieses blöde Haus!», bricht es plötzlich aus ihr heraus. «Egal, wofür ich stimme, ich zerstöre damit die Familie. Außerdem hatte ich Rückenschmerzen. Deswegen habe ich einen Schnaps getrunken, einen gegen den Rücken, einen auf die Familie, einen auf das Haus und so weiter, immer im Kreis.»
«Also, um die Familie zu zerstören, muss schon etwas mehr passieren, meinst du nicht?»
Das sage ich nur, um sie trösten. Insgeheim bin ich mir nach dem, was heute Morgen vorgefallen ist, nicht mehr so sicher. Außerdem habe ich gut reden: In ein paar Stunden bin ich auf der Fähre, und dann muss Oma sich alleine mit Arne, Regina und Cord herumschlagen.
«Regina und Arne wollen das Haus abstoßen, Cord und deine Mutter wollen es behalten, stimmt’s?», fragt sie nun und sieht betreten auf ihre Hände.
Ich grinse: «Mama hat mir ihr Stimmrecht übertragen. Ich wäre tatsächlich stark dafür, das Haus zu behalten, kann meine Meinung aber noch ändern.»
«Ich will nicht, dass du das tust.»
«Würde mir auch nicht leichtfallen, aber für dich …»
Plötzlich erhebt sich Oma. Die Trauer in ihren Augen ist einem resoluten Blick gewichen. «Mein lieber Sönke, du bist ein guter Junge, aber jetzt möchte ich ein bisschen allein sein. Ich habe rasende Kopfschmerzen, und das trotz zwei Aspirin …»
«Aber deinen Geburtstag feiern wir nach.»
Schon wieder scheint sie einen Geistesblitz zu haben: «Es gibt nur einen, der die Familie Riewerts aus dieser Situation retten kann.»
Da bin ich aber gespannt.
«Und wer soll das sein?»
«Du, mein Junge.»
Ich lache laut auf: «Was?»
Oma ist sich sicher: «Du bist der geborene Diplomat, nicht umsonst arbeitest du bei dieser Eventagentur …»
… bei der ich gerade gefeuert wurde, weil ich als Diplomat nichts tauge …
«… außerdem bist du eine Generation hinter den Streithähnen. Ich möchte, dass du alle wieder zusammenbringst.»
Ich weiß, dass sie es nett meint.
Tut mir leid, liebe Oma, mein Entschluss steht fest: Ich werde noch heute die Fähre zum Festland besteigen.
«Kann ich nicht lieber Frieden in Nahost schaffen?», schlage ich vor. Das wäre einfacher.
Oma schaut betrübt zu Boden: «Sind die Riewerts so heftig?»
«Ja.»
«Bitte, Sönke …»
Sie schaut mich fest mit ihren tiefblauen Augen an.
«Ich versuche es.»
Zwei Tage – höchstens!
Nicht für Arne, Cord und Regina.
Sondern nur für Oma.
«Wo wohnst du überhaupt?»
«Auf unserem Schloss in Nieblum, zusammen mit Cord.»
Oma starrt an mir vorbei.
«Wahrscheinlich hätte es ihm geholfen, wenn ich damalsdie Scheidung eingereicht hätte. Aber ich habe einfach mit deinem Großvater …» Wie kommt sie denn jetzt auf dieses Thema? Die Hausfrage hat wohl noch einiges mehr aus ihrem Leben aufgewühlt.
«Hör auf damit», beschwichtige ich sie. Ich möchte nicht, dass sie sich an ihrem Geburtstag Schuldgefühle macht.
Sie legt die Hand auf mein rechtes Knie.
«Und versuch Cord zur Ruhe zu bringen, ja?»
Liebe Oma, Cord singt, wenn ich mit ihm reden will, vermutlich steht er kurz vor einer Einlieferung in die Geschlossene. Nur Valium oder härtere Drogen könnten ihn zur Ruhe bringen.
«Ich tue mein Bestes.»
Sie strahlt mich an: «Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.»
Oma überschätzt mich maßlos, aber das spornt mich an. Ich verabschiede mich mit einem Kuss auf die Wange. «Und nachher schaust du dir mein Geschenk an, ja? Es wird dich aufmuntern. Morgen komme ich zum zweiten Frühstück bei dir vorbei – passt es dir so
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