Oma ihr klein Häuschen
gegen elf?»
«Du bist ein lieber Junge.»
Ich muss zugeben, dass ich mich sehr freue, wenn Oma das sagt. Weil es sonst niemand zu mir sagt. Und weil meine Oma Imke es durch und durch ehrlich meint.
7. Die 68er von Nieblum
Die Flut schleicht sich so undramatisch heran, als wäre irgendwo ein Wassertank leckgeschlagen und die flache Pfütze darunter würde ganz langsam immer größer. Auf der Oberfläche meint man nur eine leichte Kräuselung zu erkennen, höchstens einen Zentimeter hoch, doch das täuscht. Die Miniwelle füllt in Minuten meterhohe Priele und besitzt eine Kraft, der man nicht widerstehen kann. Zeit, um endlich abzutauchen. Unter Wasser stemme ich mich wie ein Irrer zwei Schwimmbahnen lang gegen den Flutstrom und komme nur hoch, um kurz Luft zu schnappen. Dann lege ich mich regungslos aufs Wasser und lasse mich wieder zum Strand treiben. Zurück auf meinem Badehandtuch, pocht mein Herz wie verliebt: Sämtliche Gefäße sind optimal durchblutet.
Genau deswegen fährt man an die Nordsee.
Eine halbe Stunde später mache ich mich zu Fuß auf nach Nieblum, immer an der Wasserkante entlang. Neben mir erhebt sich eine kleine Steilküste, auf der gegenüberliegenden Seite liegen die Dünen von Amrum in der Sonne, nördlich ist Hörnum auf Sylt zu erkennen.
Es ist total absurd. Nachdem mein Onkel Arne mich als schwarzes Schaf geortet hat, erwählt Oma mich als Retter der Familie.
Aber was kann ich schon tun?
Ich habe nichts anzubieten als meine Überzeugung, dass wir das Häuschen behalten sollen. Vielleicht fällt mir ja noch ein genialer Kompromiss ein, für Oma probiere ich es gerne. Ich finde, das ist es wert. Wer, wie wir, zusammen feiern kann, sollte sich auch in schlechten Zeiten beistehen. Und außerdem: Was würde ich jetzt schon in Hamburg machen? An irgendeinem Tresen sitzen, zu viel trinken und meine Freunde volljammern. Was ich mit Sicherheit auch noch tun werde, aber das kann warten.
Viel eher als gedacht kommen die Strandkörbe am Nieblumer Strand in Sicht. Über mir brummt ein kleines Flugzeug, das ein Werbebanner hinter sich herzieht:
Ringreiten in Alkersum, 17. 9., ab 10 : 00 Uhr
. Irgendwie freue ich mich, dass es in Zeiten von Multimedia diese Reklameflieger immer noch gibt.
Mit einem Mal fällt mir eine ziemlich gutaussehende Frau auf, die fernab von allen anderen neben einem muskelbepackten Typ auf ihrem Handtuch liegt. Sommersprossen, rötliche Haare, dicke Gucci-Sonnenbrille. Mein Magen verklumpt zu einer harten Kugel: Das ist Katharina Gehling, die Tussi, die mich bei meinem Chef verpetzt hat! Ausgerechnet hier, auf Föhr, macht die Urlaub? So viel Pech kann keiner haben. Aber sie ist es, ohne Zweifel.
Welcher Fluch liegt bloß auf mir?
Ich gehe ein Stück näher heran. Im Bikini ist ihre makellose Figur zu erkennen. Da ist kein Gramm Fett zu viel, nichts, wo es nicht hingehört. Manchen Menschen hat der liebe Gott eine perfekte Verpackung geschenkt; Katharina Gehling gehört definitiv dazu.
Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, schießt eine ungeheure Wut in mir hoch: Wie kann eine einzelnePerson so viel Macht haben, mit einem kurzen Anruf zehn Jahre Arbeit zunichte zu machen?
Ich habe einen Fehler gemacht, na und? Wer macht schon alles richtig?
Und was nun?
Ansprechen? Ist das nicht demütigend?
Feige an ihr vorbeischleichen? Ist das besser?
Nein, weglaufen gilt nicht. Ich werde kurz zu ihr hingehen und guten Tag sagen. Mal sehen, wie sie reagiert. Falls sie mich überhaupt wiedererkennt, wir haben uns ja nur ein paar Minuten gesehen. Ich steure direkt auf ihr Handtuch zu. Als ich mich vor ihr aufbaue, achte ich darauf, dass ich ihr die Sonne nehme. Der braungebrannte Bodybuilder mustert mich feindselig.
«Na?», grüße ich sie. Ihre schwarzdunkle Sonnenbrille schwenkt in meine Richtung.
«Äh», antwortet sie verlegen.
Ich neige ironisch den Kopf zur Seite: «Vielen Dank nochmal.»
«Kennen wir uns?»
Ihre Stimme klingt irgendwie anders, viel höher. Zur Sicherheit frage ich noch einmal nach: «Katharina Gehling?»
«Nee», knurrt der Bodybuilder und richtet sich bedrohlich auf. «Und tschüs!»
Die Frau schaut über ihre Brille: knallblaue Augen – Mist! Katharinas waren grün.
«’tschuldigung, war ’ne Verwechselung.»
Da habe ich es: Vermutlich bin ich tatsächlich schwerer gestört als alle anderen in meiner Familie. Bloß schnell zurück in mein verrottetes Häuschen und die Gardinen zuziehen!
Schon von weitem erkenne
Weitere Kostenlose Bücher