Oma ihr klein Häuschen
besoffen.»
«Ausnüchterungszelle?»
«Was?»
«Oder ins Krankenhaus?»
«Hast du sie noch alle?»
Föhr ist nicht die South Bronx, so ein Vorfall spricht sichhier sofort rum. Touristen darf es passieren, dass sie sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken, da landet ja so einiges auf der Insel. Aber wenn man hier wohnt, hat man sofort seinen Ruf weg, und der ändert sich dann nicht mehr so schnell – jedenfalls nicht zum Positiven.
«Was schlägst du vor?», fragt Maria und geht mit ihren langen Beinen in die Hocke, was bei einer Polizistin ungewohnt aussieht. Sie wirkt verunsichert, das überrascht mich.
«Wir bringen sie nach Hause.»
Maria mustert skeptisch Omas Hose und mein schlickiges Hemd: «Ihr saut mir den ganzen Wagen voll – alle beide.»
Habe ich richtig gehört?
«Na und?», platze ich heraus, «es ist immer noch unsere Oma. Außerdem ist das nicht dein Privatwagen.»
«Schrei nicht so.»
Ich denke gar nicht daran: «Willst du sie hier liegen lassen, oder passiert nochmal was?»
«Das ist ein Fall für den Notarztwagen.»
«Oma ist nicht krank, sondern besoffen!»
«Was es nicht besser macht.»
Ich habe keine Lust mehr auf sinnlose Diskussionen mit meiner bescheuerten Cousine, Dienst ist Dienst (… und Schnaps ist Schnaps): «Pack mal an, bitte.»
Ich greife Oma unter die Arme und werfe Maria einen auffordernden Blick zu.
Sie bleibt einen Moment unschlüssig stehen, dann nimmt sie Omas Füße.
Na, geht doch.
Der Auflauf auf der Promenade hat jetzt die Größe einer kleinen Wahlkampfveranstaltung erreicht. Das halbnackte Publikum beäugt misstrauisch jeden unserer Schritte. Helfen tut uns keiner – was mir sehr recht ist.
6. Die Musik passt einfach nicht
Maria rast mit Blaulicht durch die schmale Badestraße und benutzt die Bremse seltener, als ich es zum Überleben wichtig fände. Wahrscheinlich möchte sie es so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Am besten, ich schaue einfach nicht nach vorne.
Oma Imke sitzt neben mir auf dem Rücksitz wie eine leblose Puppe. Ihr Kopf lehnt an meiner Schulter, ich halte sie fest im Arm, damit sie in den Kurven nicht wegrutscht. Kleine rotgeklinkerte Häuser, Bäume, Pensionen und Firmen mit Namen wie Mylin – Antike Kachelöfen, Banko’s Backshop und Akropolis II rauschen an uns vorbei. Nachdem wir in Maximalgeschwindigkeit die alte holländische Windmühle passiert haben, gegenüber dem kleinen Park, kommen wir in die Altstadt. Die kleinen rotgeklinkerten Fischerhäuser wurden damals vor allem gegen die grimmigen Winterstürme gebaut. Sie sind schnörkellos und wetterfest – mehr wollen sie nicht sein. In den letzten Jahrzehnten hat man sie jedoch für den Sommer aufgehübscht, hier und da ein Wintergarten oder ein Balkon mit üppigen Blumen und Rankpflanzen, was ihnen hervorragend steht.
Maria muss höllisch aufpassen, weil überall ungeübte Fahrradfahrer unterwegs sind, die unberechenbare Schlenkerund Abbiegemanöver machen. Als wir die Fußgängerzone erreichen, schaltet sie auf Schritttempo herunter. Touristen mit Eiswaffeln in der Hand glotzen neugierig auf die beiden Zivilisten hinten im Polizeiwagen: Warum sind die wohl verhaftet worden? Würde ich mich auch fragen, wenn ich ehrlich bin.
Nachdem Opa gestorben war, hatte Oma ihr großes Friesenhaus am Stadtrand gegen eine moderne Dreizimmerwohnung in der ersten Reihe an der Strandpromenade getauscht. Ihre Insulaner-Freunde haben darüber verständnislos den Kopf geschüttelt, aber ich kann Oma gut verstehen. Sie hat vorgebaut für den Fall, dass sie nicht mehr so gut kann, außerdem befinden sich alle Einkaufsmöglichkeiten in wenigen Minuten Gehentfernung von hier. Und wenn Oma Leben will, muss sie nur von ihrer Terrasse in der ersten Etage auf die Promenade schauen, da ist nämlich immer was los. Sucht sie Stille, wechselt sie auf den Seitenbalkon. Ein perfekter Alterssitz mit Blick aufs Meer, genau so möchte ich später auch mal leben.
Als wir vor Omas Haus ankommen, springt Maria aus dem Wagen, reißt die Beifahrertür auf und stützt Oma von der Seite ab. Ich rutsche durch und packe mit an. Erstaunlicherweise funktioniert das ohne Worte. Wir nehmen Oma in die Mitte, kreuzen unsere Arme hinter ihrem Rücken, dann greife ich nach Marias Hand unter Omas Beinen. Diese Technik kenne ich von meinem Zivildienst im Altenheim, Maria vermutlich von Einsätzen bei Sitzblockaden, wo sie Demonstranten wegtragen musste. Sie fasst verbindlich meine Hand, und an ihrem
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