Oma ihr klein Häuschen
zurück nach Hamburg fahren. Der Strandurlaub war ein netter Versuch, aber daraus wird hier nichts mehr. Jetzt ist es etwa ein Uhr. Wenn ich mit der 1 8-Uhr -Fähre zurückfahre, könnte ich gegen elf zu Hause sein. Ich schicke eine SMS an meine Hamburger Freunde: Hat jemand Lust heute Abend auf ein Bier im Schanzenviertel?
Ein Geräusch lässt mich hochschrecken: Oma steht neben mir. Ihr Gesicht ist kaum zerknittert, ihr Make-up zentimeterdick, sie riecht nach teurem Parfüm und hat sich ein elegantes Cocktailkleid angezogen. Allein ihre blutunterlaufenen Augen zeugen von ihrem hochprozentigen Vormittag.Offensichtlich hat sie einen Filmriss, denn sie ist total erstaunt, mich zu sehen: «Sönke …?»
«Herzlichen Glückwunsch, Oma», murmle ich schlaftrunken.
«Seit wann bist du auf der Insel? – Und wie bist du überhaupt hier reingekommen?»
Ich stehe auf und umarme sie: «Mit deinem Schlüssel. Ich habe dich hierher gebracht, zusammen mit Maria.»
«O Gott.»
Meine Oma Imke ist eine äußerst tapfere Frau. Wir sind mal auf einer Landstraße als Erste an eine Unfallstelle gekommen, wo zwei Wagen frontal zusammengestoßen waren. Wie froh war ich, dass Oma dabei war, als wir die verletzten Fahrer aus den Wagen zogen und Erste Hilfe leisteten! Oma legte allen so sicher und souverän Verbände an, dass ich mich nur an sie ranhängen musste. Hinterher lobte sie der Notarzt, dank ihrer Hilfe hätten alle überlebt. Oma musste dann zugeben, dass sie nie einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht hatte, weil sie gar keinen Führerschein besitzt. Sie ist wirklich eine Frau der Tat.
Es ist das erste Mal, dass ich sie weinen sehe, es schüttelt sie richtig durch in ihrem dünnen Kleid. «Es ist mir so was von peinlich, Sönke …» Sie hält sich die Hand vor den Mund.
Apropos peinlich: Ich weiß nicht, wann meine Oma ihren Enkel das letzte Mal in Unterhose gesehen hat. Schnell gehe ich zum Trockner, ziehe die Hose an und kehre zu ihr zurück. Sie schluchzt immer noch. Als ich sie fest in den Arm nehme und ihr durchs duschnasse Haar streiche, fühle ich durch das Kleid hindurch ihre knöchernen Rippen, so dünn ist sie. Uns wird beiden schnell zu warm vom Im-Arm-Halten, weswegen sie sich sanft von mir löst und mir in die Augen schaut.
«Danke, Sönke», schnieft sie.
«Dafür nicht, Oma, das ist Standard.»
Sie lächelt durch ihren Tränenschleier hindurch. Ich reiche ihr ein Taschentuch, und wir setzen uns nebeneinander auf die Liege.
«Ich finde übrigens, dass du es extrem dämlich angestellt hast, Oma.»
«Kein Wort weiter!»
«Du wirst deinem Enkel nicht das Wort verbieten.»
Anders kommt man bei Oma nicht durch.
«Ich weiß es doch selbst am besten …»
«Nichts weißt du. Nur Vollalkoholiker betrinken sich mit Korn. Und Leute, die sonst nie trinken, wie du. Die so dumm sind, zu denken, wenn man sich besäuft, dann am besten mit diesem Zeug.»
Oma reckt mädchenhaft-neugierig ihren langen Hals: «Wie hätte ich es denn sonst machen sollen?»
Ich schaue ihr tief in die blauen Augen: «Mit Wein. Dann wirst du langsamer betrunken und hörst vielleicht früher auf. Schnaps mit vierzig Prozent ist wie mit dem Hammer auf den Kopf.»
Oma senkt den Blick. «Habe ich etwas angestellt, was mir schaden könnte?»
Ich verschränke demonstrativ die Arme vor dem Bauch. «An was denkst du?»
«Touris angepöbelt, Einheimische beleidigt, randaliert?»
«Leider ja.»
«Was jetzt davon? Touris oder Einheimische?»
Oma starrt mich wie eine Ertrinkende an, der gerade bewusst wird, dass sie niemand mehr retten kann: «Ich kann mich an nichts erinnern.»
«Es war ein Witz, Oma.»
Jetzt wird sie vor Empörung richtig laut: «Wenn ich Witze auf deine Kosten mache, geht das in Ordnung, aber nicht umgekehrt! Mann, Sönke, hast du mir einen Schrecken eingejagt.»
Wir müssen beide lächeln.
«Du hast friedlich im Watt gesessen und mit Matsch gespielt», beruhige ich sie.
Sie hält sich entsetzt die Hände vors Gesicht: «O Gott! Wie ein kleines Kind?»
«Es hat dich niemand erkannt.»
«Wie bin ich hergekommen?»
«Im Polizeiwagen von Maria.»
«Und wo habt ihr geparkt?»
«Vor der Tür, wo sonst?»
«Dann haben mich doch alle gesehen!»
Ich lege den Arm um sie: «Aber wie denn, Oma? Du bist ja nicht blöd. Dem hast du geschickt vorgebeugt.»
«Wie das?» Oma zieht hoffnungsvoll ihre rechte Augenbraue hoch.
«Du hast dir vorher das Gesicht mit Schlick eingerieben», beruhige ich sie, «mit der braunen
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