Oma ihr klein Häuschen
festen Griff spüre ich, dass ich mich auf sie verlassen kann. Oma sitzt jetzt aufrecht zwischen uns. Die Kunden der Boutique Sandra Lückemannunten im Haus bleiben stumm neben den übervollen Klamottenständern stehen und gaffen uns an.
In Omas Wohnung im ersten Stock schlägt uns sofort ein grasiges Parfüm entgegen. Maria und ich legen Oma auf ihr Bett im Schlafzimmer mit den lachsrosa Wänden. Wahrscheinlich wird sie mit ihrer schlickigen Kleidung die rosa Bettwäsche schmutzig machen, aber wir wollen sie nicht auch noch ausziehen. Oma macht keine Anzeichen, dass sie etwas von ihrer kleinen Reise mitbekommen hat, sondern schläft die ganze Zeit. Damit sie es bequemer hat, öffne ich den obersten Knopf ihres Hosenbundes. Erschöpft setzt sich Maria neben Oma auf die Bettkante und atmet tief durch.
«Ich bleibe hier», kündige ich an.
«Wozu?», stöhnt Maria genervt und bläst sich eine Haarsträhne aus der Stirn. «Oma schläft sich aus, und dann hat sich das.»
«Trotzdem.»
Jetzt verzieht sie das Gesicht zu einer angewiderten Fratze: «Helfer-Syndrom oder was?»
Ich will einfach für Oma da sein, wenn sie aufwacht, was ist daran schlecht?
«Ja, und?»
Die einzig mögliche Antwort auf eine derartig blöde Frage.
Maria legte eine Visitenkarte mit ihrer Durchwahl in der Polizeistation auf Omas Nachttisch und schaut mich an: «Wenn was ist …»
Eher würde ich versuchen, den Bundespräsidenten anzurufen als meine schlechtgelaunte Cousine. Obwohl unsere Zusammenarbeit letztlich gut geklappt hat.
«Mmh, tschüs», sage ich.
Und klinge genauso unfreundlich wie sie. Mit federndenSchritten verlässt sie die Wohnung. Ich glaube, aus der Frau werde ich niemals schlau.
Genervt stelle ich den Rucksack mit dem Nolde-Föhn in Kunstharz auf Omas Küchentisch, ziehe Hose und Hemd aus, spüle beides unter der Dusche aus und werfe die Sachen in den Trockner. Dann gehe ich in Boxershorts ins vordere Zimmer. Aus ihrer alten Wohnung hat Oma nichts als einen prächtigen, antiken Sekretär und ein paar alte Stühle mitgenommen, ansonsten ist hier alles hell und eher modern eingerichtet. Über der bequemen weißen Couch hängt ein großformatiges Original des Künstlers Stefan Brée, ein stilisierter Elefant vor einem tonfarbenen Hintergrund. Es gibt eine kleine Essecke mit einem Tisch und vier Stühlen, alles nicht überkandidelt, aber sehr geschmackvoll. Auf dem Sekretär entdecke ich einen Laptop, der sogar noch angeschaltet ist. Aus Langeweile google ich den Elefanten-Maler und finde heraus, dass er Professor für Bildungsforschung in Hildesheim ist, was mich kaum wundert: Oma lernt unter den Touristen immer die absonderlichsten Leute kennen.
Plötzlich ertönt von draußen eine Tanzband, die als Anfangslied ausgerechnet
Time to say goodbye
spielt. Ehrlich gesagt schluchzt die Sängerin eher, als dass sie singt. Irgendwie bin ich jetzt neugierig geworden. Ich gehe auf den Balkon und schaue mir die Musiker genauer an: Die Sängerin hat blondierte Haare, einen starken osteuropäischen Akzent und ist nicht mehr ganz jung. Ende vierzig, würde ich schätzen. Sie trägt weiße Pumps, eine schwarze Hose mit Bügelfalte und eine kurzärmlige weiße Bluse mit tanzenden schwarzen Noten. Der langhaarige Keyboarder singt die zweite Stimme, während der Leadgitarrist zwischendurch immer wieder überraschend mit der flachen Hand auf seineConga schlägt. Alle Zuschauerbänke vor der Kurmuschel sind besetzt. Jetzt kommt das zweite Lied,
Girl from Ipanema
, auf Englisch mit russischem Akzent, was merkwürdigerweise gar nicht so schlecht passt.
Mein Blick schweift ab zu den Halligen Langeneß und Oland gegenüber. Die Menschen harren dort auch bei Sturmflut in ihren Häusern aus, notfalls im Dachgeschoss – eine trotzige Gegenwelt zum lässigen Schlenderboulevard auf unserer Seite. Mit einem Mal überkommt mich eine große Müdigkeit, und so lege ich mich auf die weiche Liege neben der Terrassentür und schließe die Augen.
Girl from Ipanema
vermischt sich mit dem stetigen Gemurmel der Passanten, einige Lacher liegen darüber, manchmal ruft jemand einen Namen. Habe ich mal gedacht, auf der Insel würde alles besser werden? Stattdessen stehe ich in einem nervigen Härtetest: Cord singt irre Lieder, für Arne und Regina bin ich das schwarze Schaf der Familie, Maria treffe ich nur dienstlich und immer mit schlechter Laune. Und Oma, meine letzte Hoffnung, übt sich im Komatrinken.
Es hat alles keinen Zweck, ich kann ebenso gut
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