Oma ihr klein Häuschen
angelassen hat und das Auto lautlos startet, fängt Brodersen sofort an zu jammern: «Weißt du, wir Nieblumer müssen ganz schön hart ums Überleben kämpfen. Dass wir diegrößten Opfer des Mauerfalls geworden sind, ist den meisten im Land gar nicht bewusst.»
«Wie das?» Der scheint ja doch was Bedeutendes zu erzählen zu haben.
«Die Berliner waren jahrzehntelang unsere treusten Gäste. Neben den Hamburgern natürlich. Aber seit die Grenze offen ist, fahren die alle lieber nach Usedom oder Rügen. Kann ich ja verstehen: Man hat nur ein paar Stunden Anreise, keine Fähre, das sind zwei Urlaubstage mehr. Heute kommt kaum noch jemand aus Berlin.»
Ich schaue ihn so betroffen wie möglich an: «Hat es denn einen Ausgleich vonseiten der Regierung gegeben? Eine Art Solidaritätszuschlag?»
Brodersen lacht hämisch auf: «Denen im Osten haben sie goldene Autobahnen gebaut. Wir hingegen müssen sehen, wo wir bleiben.»
Wir erreichen die Auffahrt zum Parkplatz, neben dem ein grünes Schild mit dem Wappen des Golfclubs Föhr steht, darunter die Warnung:
Vorsicht! Fliegende Golfbälle!
Sehr lustig.
Oder nicht?
Wir steigen aus und betreten das rustikale Clubgebäude aus edlem Holz. Brodersen muss etwas mit dem Barkeeper klären, währenddessen schaue ich mich um. Die Namen der Clubmaster seit 1973 hängen nach Damen und Herren getrennt auf Goldschildchen an einer Tafel, am Schwarzen Brett finden sich hinter Glas Mitteilungen, die für mich wie Spionage-Codes klingen: «Zeitweilige Platzregel (Besserlegen) – Ein auf einer kurzgemähten Fläche der Spielbahnen blau 2 bis 8 liegender Ball darf straflos aufgenommen und gereinigt werden. Der so aufgenommene Ball muss innerhalb einer Scorekartenlänge vonseiner ursprünglichen Lage, jedoch nicht näher zum Loch und nicht in ein Hindernis oder auf ein Grün gesetzt werden.»
Ah ja.
Ich frage Brodersen nicht nach dem Sinn des Besserlegens, als der wiederkommt und mich sanft hinausschiebt. Wir setzen uns auf die Außenterrasse des Golfclub-Restaurants, die von einer hüfthohen, halbrund geschnittenen Hecke umrahmt ist. Hier verspeisen die Opfer der Wiedervereinigung frischen Hummer und trinken dazu ein Gläschen Champagner. Sie sind alle mit karierten Hosen, weißen Schuhen und einschlägigen Käppis verkleidet. Die einzigen Ausnahmen sind Brodersen und ich.
Auf dem Feld vor uns spielen Golfer auf einem Rasen, der aussieht wie ein künstlicher Teppich. Ich muss zugeben, dass ich eine Schwäche für Golfplätze habe, obwohl ich dem Sport selbst wenig abgewinnen kann. Genauso wie Neuwagen und Edelboutiquen haben sie einfach etwas Makelloses. Um die unzähligen Hügel des Nieblumer Platzes schmiegt sich eine gleichmäßig geschorene Rasendecke wie eine Latexmaske, die Rasenkanten an den Sandlöchern sind akkurat geschnitten. Jemandem wie mir imponiert so etwas gewaltig: In meiner Zweizimmerwohnung fliegt immer etwas herum, Bücher, Zettel, Klamotten. Ich bekomme es einfach nicht in den Griff. Kurz bevor Besuch kommt, starte ich dann immer eine verzweifelte Aufräumaktion – um schließlich einen Ordnungsstatus zu erreichen, den andere als Zeichen für einen dringenden Hausputz sehen würden.
Die Abendsonne, die direkt hinter dem letzten Grün langsam ins Meer sinkt, taucht den Platz in ein Weichzeichnerlicht, das ihn zusätzlich veredelt. Wie in einem Werbefilm fürWaschmittel leuchtet mein weißes Hemd hell in der Sonne. Bürgermeister Brodersen nimmt mit Genugtuung wahr, dass es mir hier gefällt.
«Du hast ja selbst gesehen, wie es um euer Haus steht», kommt er nun auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. «So geht es nicht weiter.»
Heimlich muss ich ihm zustimmen, gegen den Golfclub wirkt unser Haus wie ein verlassener Plattenbau im äußersten Sibirien.
«Wir sind dabei, das zu klären.»
«Es gibt verbindliche Fristen, die in drei Tagen abgelaufen sind.»
Der soll sich mal bloß nicht so haben!
Auf einmal wird er laut: «Wenn ihr nicht renoviert, bekommt ihr Strafen reingedonnert, die werden teurer, als das ganze Haus wert ist.»
«Mein Onkel hat vor Gericht bereits Widerspruch eingelegt», erwidere ich.
Brodersen schnappt sich einen Bierdeckel und klopft damit leicht auf die Tischplatte. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass man sich vor ihm in Acht nehmen muss.
«Weißt du, Sönke, Cord wollte mal von Föhr nach Amrum schwimmen, das war so eine blöde Wette unter Schülern. Und was geschah? Die DLRG musste ihn aus dem Wasser ziehen, weil er das Maul
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