Oma ihr klein Häuschen
Zweihunderttausend, mindestens. – Leinen los!»
Im hinteren Teil des Bootes sind ein weißer Plastiktisch und zwei dieser stapelbaren, weißen Billigstühle mit ein paar Tampen und Seemannsknoten befestigt. Vorn steht eine riesige Kühltasche.
Arne wirft den Motor an, der satt losbollert wie ein alter Straßenkreuzer. Ich gehe an Land, löse die Leinen und springe zurück an Bord. Arne rauscht schnell und elegantaus dem Wyker Hafen heraus. Genauso bekloppt wäre eine Männertour im gemieteten Porsche gewesen, aber dafür ist Föhr zu klein, und außerdem gibt es auf der Insel keine Sportwagen zu mieten. Wir passieren die grüne Steuerbordtonne in der Hafenausfahrt, die vermutlich Reginas Mann Holger hier verankert hat. Arnes lange Resthaare flattern im Wind, er wirkt stolz und begeistert, am Ruder eines derartigen Bootes zu stehen. Vor Langeneß dreht er nach steuerbord ab und flutscht zwischen Föhr und Amrum hindurch in Richtung Sylt, und zwar mit Vollgas. Das Boot fliegt geradezu über die Wellen. Während wir so dahintreiben, lasse ich meine Hand über Bord hängen und spiele mit den Fingern im kühlen Wasser herum. Die Nordsee fühlt sich samtweich an und funkelt in der Sonne wie ein riesiges Paillettenkleid im Scheinwerferlicht.
«Wir müssen schnacken», ruft Arne gegen den Wind.
Es klingt ernst.
Soweit ich weiß, haben wir nur zwei ernste Themen miteinander zu verhandeln, das eine ist Oma, aber die ist weg, und das andere ist das Haus, worüber zu streiten ich gerade gar keine Lust habe.
«Können wir die Erbschaft mal einen Tag ruhen lassen?», bitte ich ihn. «Es ist einfach zu schön hier.»
Arne schüttelt den Kopf: «Es geht um Maria.»
Das habe ich nun gar nicht erwartet.
«Was ist mit ihr?»
«Bist du an ihr dran?»
Natürlich geht ihn das nichts an, und genauso natürlich wird mein Mund trocken.
«Was soll das heißen?»
«Ja oder nein?»
«Arne, also wirklich.»
Eine große Welle rollt von der Seite gegen unser Boot und bringt es für einen kurzen Moment zum Schlingern, sodass Arne beherzt gegensteuern muss.
«Also ja!»
«Was soll das?»
«Du bist in sie verliebt, seit du dreizehn bist.»
«Maria und ich haben uns seit Jahren nicht gesehen.»
Mist, jetzt fange ich an, mich zu rechtfertigen.
«Du warst immer hinter ihr her, aber sie hat dich nie rangelassen, stimmt’s?»
«Würdest du dir denn wünschen, dass ich was mit ihr anfange?», spiele ich den Ball zurück. Ich fürchte, wir sind gerade dabei, ein drittes ernstes Thema zu bekommen.
Doch Arne ist noch nicht fertig: «Lass die Finger von ihr. Du bist seit längerem Single, nehme ich an. Da würdest du jede nehmen, nur um dir zu beweisen, dass es noch geht, oder?»
Zeit für einen Warnschuss: «Du scheinst ja zu wissen, wovon du redest. Bist du nicht gerade selbst verlassen worden?»
«Ja, aber das war nichts Ernstes.»
Was denn nun? Heute Morgen hat er damit noch seine schlechte Laune begründet. Ich erwidere nichts, und offensichtlich war das gut so. Auch er schweigt jetzt.
Ich bin froh über meine rote Windjacke, denn trotz Sonne weht der Nordwind. Wie hält es Arne bloß im T-Shirt aus? Jetzt hält er auf eine Sandbank kurz vor Hörnum auf Sylt zu und stellt den Motor aus. Das Boot läuft sanft auf Grund. Arne springt ins Wasser und wirft einen kleinen Anker in den Sand. Ich reiche ihm Tisch und Stühle vom Achterdeck.
Eine Tafel mitten im sonnigen Meer, genau zwischen den Inseln Amrum, Sylt und Föhr! Und im Hintergrund leuchten die sandigen Dünen von Hörnum.
Einfach genial.
Arne holt Bier, Weißwein, Räucherfisch und Baguettebrot aus der Kühltasche, dazu Besteck und Porzellanteller mit friesisch-blauem Muster, die ich noch von meinem Opa kenne. Schade, dass Oma nicht hier ist! Sie hätte es geliebt. Denn so idyllisch das alles hier ist, kann ich es nicht voll genießen. Wenn Oma sich gemeldet hätte, wäre das anders, aber sie ist nun mal sechsundsiebzig, und da muss ich mich auf die Möglichkeit einstellen, dass etwas Schlimmes passiert ist. Es ist einfach so: Solange ich nichts Genaues weiß, bin ich unruhig, und ich verstehe gar nicht, warum Arne so gelassen ist.
«Du isst Fisch?», staune ich, als er beherzt seinen Löffel in einen Heringstopf hält.
«Wieso?»
«Als Veganer?»
«Nun sei mal nicht so streng, es muss auch Ausnahmen geben.»
Sein Riesenauftritt als Veganer ist erst zwei Tage her. Was soll’s.
«Weißt du, beruflich brauche ich mir keine Sorgen zu machen», erzählt Arne mir
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