Oma ihr klein Häuschen
Teilhabe nur an, weil wir eine Familie sind. Wenn du schlau bist, nimmst du deinen Anteil aus dem Haus, und wir werden zusammen groß.»
Es ist nicht mein Thema, solange Oma verschwunden ist, er kapiert es einfach nicht.
Beim Einlaufen in den Wyker Hafen sehen wir am Kai einen Polizei-Golf mit eingeschaltetem Blaulicht. Als wir näher kommen und im Schleppgang an den weißen Freizeitbooten vorbeischippern, eilt uns Maria auf dem Steg entgegen. Das erste Mal, seit ich auf der Insel bin, trägt sie keine Uniform, sondern Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt .
So sieht sie also privat aus.
Ihr Gang ist leicht und federnd wie immer, aber ihr Gesichtstrahlt eine düstere Unruhe aus. Sie erinnert mich ein bisschen an die Zivilfahnder im Fernsehen, wenn sie kurz davor sind, jemanden zu verhaften, und nur noch auf den Zugriffsbefehl des Einsatzleiters warten, der jede Sekunde kommen kann. Arne wirft ihr den Tampen zu, Maria vertäut das Motorboot fachgerecht mit ihren schlanken Fingern.
«Ist irgendwas?» Arne schaut sie misstrauisch an.
Maria redet leiser als sonst: «Hast du dir
dafür
das Geld bei mir geliehen? Für dieses bescheuerte Boot?»
Arne schweigt.
Maria fährt die Lautstärke hoch: «War das die Investition, die du mit den siebenhundert Euro tätigen wolltest? Ein Protzboot leihen, um Sönke damit durchs Wattenmeer zu schaukeln? Du kannst nicht mal deine nächste Miete bezahlen.»
Peinlich.
Arne wehrt sich, so gut er kann: «Ich darf ja wohl meinen Lieblingsneffen Sönke zu einer Herrenpartie einladen.»
«War es wenigstens erfolgreich?» Wovon redet sie?
«Maria!», mahnt Arne sie.
Maria schaut mich prüfend an: «Und? Verkaufst du?»
Aha, ich verstehe. Ehrlich gesagt, möchte ich meiner Cousine nicht im Verhör begegnen.
«Lies den Geschäftsbericht», bittet mich Arne, «da ist alles von vorne bis hinten durchkalkuliert.»
Maria imponiert das wenig.
«Wann bekomme ich mein Geld zurück?», schnarrt sie ihren Vater an.
Arne tut mir leid. Seinen grandios geplanten Tag beendet er als geprügelter Hund.
«Bist du deswegen mit Blaulicht hier angerückt?», schimpft er. «Du hast sie wohl nicht mehr alle.»
«Mein Geeeld!»
Arne sucht meinen Blick: «Die rückt hier mit Blaulicht an, um ein paar Euro einzutreiben. Das ist Amtsanmaßung!»
«Das Blaulicht ist wegen was anderem.»
«Tu doch nicht so!»
«Ich brauche Sönke für einen Polizeieinsatz.»
«Waaas?», staune ich.
Maria lächelt mich geheimnisvoll an: «Wir haben eine Hausbesetzung.»
Ich muss laut lachen: «Du spinnst, oder?»
Über Hausbesetzungen habe ich im Gemeinschaftskundeunterricht mal ein Referat gehalten. Ich konnte damals kaum glauben, dass es so etwas ausgerechnet im ordentlichen Deutschland gibt. Und jetzt lebt diese Bewegung ausgerechnet auf Föhr wieder auf? Hatte Bürgermeister Brar Brodersen doch recht mit den Achtundsechzigern in Nieblum?
Maria meint es ernst: «In euerm Haus in Nieblum.»
Ich versuche ihren ernsten Blick nachzuahmen: «Mist, jetzt haben uns die Autonomen am Arsch.»
Da muss Maria dann auch laut lachen.
Nur Arne hat im Augenblick keinen Sinn für Humor und wendet sich mit vergrätztem Gesicht ab.
«Die Tour war grandios», bedanke ich mich. Unsere Tafel mitten im Meer war ganz großes Kino, das werde ich nie vergessen.
«Ich muss das Boot klarmachen», muffelt Arne, während ich zu Maria in den Polizei-Golf steige.
15. Hausbesetzung
Als ich aus Marias Polizei-Golf steige, riecht die Luft noch ein bisschen nach dem warmen Sonnentag und gleichzeitig nach feuchtem Gras und Blättern – eine erste Vorahnung auf den nahenden Herbst. Auf dem Gehweg steht eine kleine Gruppe Neugieriger, die im Halbdunkel aussehen wie Gespenster. Unser Haus liegt im grellen Scheinwerferlicht eines Kamerateams, das geflickte Dach, ja, jede Unebenheit im Mauerwerk wird schonungslos optisch herausgearbeitet.
Aber halt, etwas ist neu.
Fenster und Eingangstür sind mit Brettern vernagelt, was für unser heruntergekommenes Traumhaus mehr als Ergänzung erscheint denn als Stilbruch. Über der Eingangstür hängt ein rotes Banner, auf dem in weißer Schrift steht: «Dieses Haus ist besetzt.»
Das Chaos hier erinnert mich an meinen früheren Job. Da stand ich meistens mit einem Handy am Ohr in einem halbfertigen Raum, suchte den Fahrer mit dem Essen, während ich parallel den Kellnern Zeichen gab, welche Gläser wir brauchten, und dem Techniker zuraunte, wo er den Strom für die Musikanlage abzapfen konnte.
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