Oma ihr klein Häuschen
auf der Insel überall Spione, die jeden Schritt von mir sofort weiterleiten? Big Brother auf Friesisch?
«Um den Datenschutz auf der Insel ist es schlimmer bestellt, als ich dachte», beschwere ich mich.
Ocke lacht: «Ich weiß sogar, was du auf dem Konto hast.»
«Wie das?» Mich wundert gar nichts mehr.
«Von der Bank. Mein Schwager arbeitet da.»
«Und da hat er …?»
«War ’n Witz, Junge.»
Er klopft mir lachend auf die Schulter.
Der ging zwar auf meine Kosten, war aber gut.
Ockes freundlicher Blick ermuntert mich, es ein zweites Mal zu versuchen: «Bitte, Ocke, wir machen uns große Sorgen um Oma.»
Er nickt nachdenklich.
«Du musst mir wirklich keine großen Geheimnisse verraten», setze ich nach. «Ich würde nur gerne wissen, wo sie ist.»
Er überlegt eine Weile und brummt dabei immer wieder leise auf.
Vielleicht ist Oma in letzter Zeit gar nicht mit ihm gefahren. Warum sollte sie auch? Sie kann ja in Wyk alles zu Fuß erreichen.
«Das letzte Mal habe ich sie vor drei Tagen nach Dunsum gebracht», meldet sich Ocke plötzlich.
Dunsum? Das sagt mir was. «Wo man ins Watt geht, wenn man nach Amrum rüberwill?»
«Jo.»
«Hatte sie Gepäck dabei?»
Die Frage durfte Dr. Behnke ja nicht beantworten, angeblich wegen seiner Schweigepflicht. Aber die gilt ja Gott sei Dank nicht für Taxifahrer.
«Einen großen Rucksack, wie immer.»
«Das heißt, sie hat das öfter gemacht?»
Ocke zögert einen Moment: «Aber Imke erfährt nichts davon, klar?»
«Klar.»
«Sie war jede Woche im Watt.»
«Und wie kam sie zurück? Hast du sie wieder abgeholt?»
«Nee.»
«Also nimmt sie von Amrum aus die Fähre?»
Er beißt sich auf die Lippen und schüttelt fast unmerklich den Kopf. Anscheinend bleibt sie länger da.
«Wen kennt Oma denn auf Amrum?»
«Keine Ahnung.»
«Mensch, Ocke, ich will sie finden, da brauche ich keine Schnitzeljagd.»
«Ich hab schon viel zu viel geschnackt.»
Abrupt dreht sich Ocke um und geht Christa entgegen, die oben auf dem Deich gerade ihren Stuhl einklappt und uns dabei misstrauisch beäugt.
«Wo soll ich denn anfangen zu suchen?», rufe ich ihm hinterher, «Amrum ist groß – bitte!»
Ocke geht stur weiter.
Bitter, so kurz vor dem Ziel zu scheitern.
Ratlos steige ich aufs Fahrrad.
Was kommt als Nächstes? Die Suche auf der Nachbarinsel?
Das kann ich mir nicht leisten, tut mir leid, Oma.
«Da, wo du ankommst, am Oode Waii», ruft es plötzlich vom Deich, ohne dass sich der Mann umdreht.
«Daaaankeeee.»
Er zeigt keine Reaktion.
Ich trete in die Pedale. Natürlich könnte ich jetzt die Fähre nehmen und auf Amrum diesen «Oode Waii» suchen, aber irgendwie erscheint es mir organischer, denselben Weg wie Oma zu nehmen, nämlich durchs Watt. Wenn ich sie schon gegen ihren Willen aufstöbere, erweise ich ihr damit immerhin einen gewissen Respekt.
Oder mache ich es jetzt komplizierter, als es eigentlich ist?
Es gibt allerdings ein Problem: Ich kann nicht alleine durchs Watt gehen, das ist viel zu gefährlich. Dazu brauche ich Maria, und mit der möchte ich eigentlich nichts zu tun haben. Ich ziehe mein Handy aus der Jacke. Anrufen muss ich sie in jedem Fall, denn sonst löst sie eine inselweite Fahndung aus, obwohl Oma doch ganz woanders ist. Ich werde mich kurz fassen, sie soll nicht mitbekommen, wie sauer ich auf sie bin.
Eine halbe Stunde später sitze ich in Marias Mini und fahre mit ihr nach Dunsum.
18. Wattwanderung
Maria rutscht vor mir über den zubetonierten Deichsaum, als sei das ihr täglicher Weg zur U-Bahn . Der Wind bläst uns scharf entgegen und peitscht uns harte Regentropfen ins Gesicht. Mit ihren athletischen Beinen nimmt Maria sofort Geschwindigkeit auf und beugt den Kopf viel tiefer gegen den Wind, als sie müsste. Wir laufen barfuß, sodass der weiche Schlick in kleinen Fontänen zwischen unseren Zehen hochspritzt. Maria trägt den Anorak, den sie damals bei Globetrotter gekauft hat, mit dichtgezogener Kapuze. Ihre schwarze Gore-Tex-Regenhose hat sie bis unter die Knie hochgekrempelt, die Schuhe sind in ihrem kleinen Rucksack verstaut.
Meine ersten Schritte im Watt sind etwas zögerlicher. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich am liebsten allein gegangen, aber es hat keinen Zweck: Wenn mir hier etwas passiert, bin ich der Natur komplett ausgeliefert. Drei, vier Stunden kann der Mensch auf dem Meeresboden überleben, dann kommt der sichere Tod.
Wenn ich geradeaus blicke, gibt es nichts, woran mein Auge hängen bleibt. Die
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