Oma ihr klein Häuschen
Gegenteil überzeugt.
«Lassen wir es», schlage ich vor.
«Zurück durchs Watt können wir nicht mehr, in einer Stunde kommt die Flut», gibt sie zu bedenken.
«Es gibt ja noch die Fähre.»
«Okay, dann lass uns die nehmen. Der Weg dahin führt sowieso an dem Haus vorbei, das wir suchen.» Maria war schon immer sehr pragmatisch, was sie zuletzt gestern Abend eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.
«Wir könnten ja mal unauffällig durch die Fenster luschern», schlage ich vor.
«In Ordnung.»
So richtig wohl ist ihr dabei auch nicht.
Die sandigen Dünen neben dem Weg werden abgelöst durch Pferdeweiden, auf denen glänzende braune Hengste grasen. Im Wassergraben davor raschelt dichtes Schilf, das mir fast bis zur Schulter reicht. Ein starker Rückenwind treibt uns mit aller Macht den Oode Waii entlang bis zur Kreuzung mit der Straße Bideelen. Dort steht eine rotgeklinkerte moderne Doppelhaushälfte mit hohem, steilem Dach, in das eine Gaube mit breitem Panoramafenster eingearbeitet ist.
Das erste Haus hinter den Dünen. Hier muss es sein.
Jetzt wird mir richtig warm.
Vor dem Eingang steht ein seltsames Auto, das ich noch nie gesehen habe, ein neuer russischer Lada Kombi mit Kieler Kennzeichen.
Wer fährt so einen Wagen?
«Komm, wir lassen es», zögere ich.
«Das ist doch albern. Wenn wir schon mal hier sind, klingeln wir auch», überredet mich Maria. «Außerdem, das mit dem Haus in Nieblum muss mit Oma geklärt werden. Hast du selbst gesagt.»
Als wir auf den Eingang mit der weißen Holztür zugehen, erkenne ich Oma sofort durch eines der Fenster. Mir stockt der Atem. Was macht sie hier? Sie trägt eine rote Baseballmütze, hält ein Glas Weißwein in der Hand und lacht. In einem Bett neben ihr liegt ein blass aussehender, älterer Mann mit weißer Mähne. An den Wänden sind volle Bücherregale zu erkennen.
«Das geht uns nichts an», flüstere ich leise.
Maria und ich stehen so nahe nebeneinander, dass ich wieder ihr Amber-Parfüm riechen kann.
«Wir suchen Oma schon seit Tagen», flüstert sie zurück.
«Trotzdem.»
«Guten Tag sagen kann nicht schaden.»
«Stell dir vor, du triffst dich mit deinem Lover, und Oma steht vor der Tür.»
Maria sieht mich erschrocken an: «Meinst du, das ist ihr Lover?»
«Was denn sonst?»
Ich drücke die Klingel.
Von innen kommt jemand an die Tür.
Maria und ich schauen uns starr in die Augen. Ich möchte am liebsten weglaufen, doch dafür ist es nun zu spät.
19. Dünenliebe
Ich erschrecke mich fast ein bisschen, als eine junge Krankenschwester in weißem Kittel und weißer Hose, ein Stethoskop um den Hals, die Tür öffnet. Ihre Wangen sind leicht gerötet, und sie sieht ein bisschen so aus, als hätte sie gerade herzlich gelacht.
«Ja?»
«Moin, mein Name ist Sönke Naumann, das ist Maria Riewerts. Wir würden gerne unsere Großmutter sprechen, wenn das möglich ist.»
«Bitte, warten Sie einen Moment.»
Ich schaue mich in dem schattigen Flur um und sehe lauter Fotos von den Dünenlandschaften rings um das Haus.
«Maria? Sönke?», tönt Omas Stimme von drinnen.
Endlich!
Eine Sekunde später steht sie barfuß vor uns, in Jeans und ausgeleiertem, viel zu großem Ringel-Sweatshirt mit grünen Streifen. Es ist schön, ihre knochigen Arme um meinen Hals zu spüren, als sie mich fest an sich drückt.
«Da seid ihr ja.» Als wären wir verabredet.
Sie umarmt Maria.
Oma nimmt es mir etwas zu lässig. Immerhin haben wirsie wie blöde gesucht. Die Schwester vom Pflegedienst verzieht sich diskret in die Küche.
«Wieso hast du dich nicht gemeldet?», frage ich mit mittelschwerem Vorwurf in der Stimme.
«Ich weiß», antwortet Oma hastig, «aber es ging ja auch so.»
«Das hätten wir einfacher haben können.»
«Ich brauchte einfach Zeit», seufzt Oma und sieht uns mit traurigem Blick an. Wer soll dem widerstehen können? Irgendwie ist es auch egal, wir haben uns gefunden, und damit fertig.
«Wo sind wir hier?», fragt Maria.
«Bei meinem Freund. Er heißt Johannes.»
Da habe ich mit Oma über alles in der Welt geredet, aber von ihrem Freund hat sie mir nie erzählt. «Ach ja?»
Ein bisschen beleidigt bin ich schon.
«Kommt mal mit.»
Sie geht mit uns vor die Tür, wo wir uns nebeneinander auf eine Bank im Vorgarten setzen und ins Wattenmeer schauen. Oma braucht ein bisschen, bis sie sprechen kann.
«Johannes ist seit über vierzig Jahren mein Liebhaber.»
Maria und ich werfen uns einen kurzen, erstaunten Blick zu. Ich habe mich
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