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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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Auftritt. Entschlossen zückt er das Papier vom Genforschungsinstitut: «Hier ist der Beweis, schwarz auf weiß! Den habe ich von meinem leiblichen Vater bekommen.»
    «Quatsch», explodiert Oma, «ich muss es ja wohl wissen. Oder glaubst du etwa auch, dass ich nicht deine Mutter bin?»
    «Das ist der Beweis.» Cord hält das Papier hoch. «Der ist mein Vater. Vermutlich ist es Johannes.»
    Arne starrt ungläubig auf den Wisch, dann auf seine Mutter: «Mama?»
    Oma lächelt.
    Doch irgendetwas ist seltsam an diesem Lächeln, es iststarr und wirkt viel zu weit weg. Regina merkt als Erste, dass etwas nicht stimmt, und eilt zu ihr. In dem Moment sackt Oma zusammen, ihre Lippen sind weiß und blutleer. Zum Glück fangen Arne und Regina sie auf, schubsen den dicken John beiseite und legen Oma auf die Couch.
    Herzinfarkt? Schlaganfall?
    «Einen Arzt», rufe ich. «Schnell!»
    Alles springt auf und rennt durcheinander – außer Holger und John.
    «Dr.   Behnke», stöhnt Oma und japst nach Luft.
    «Stabile Seitenlage», sagt Arne. Cord legt Oma ein Kissen unter den Kopf, während Regina bereits mit Dr.   Behnke telefoniert.
    «Arzt ist unterwegs», meldet sie.
    Mein Mund wird trocken vor Aufregung: «Der soll sich beeilen.» Nach endlosen Minuten, in denen niemand etwas sagt und alle zittern, hören wir endlich ein Martinshorn näher kommen.
     
    Dr.   Behnke schießt ins Zimmer, er hat einen Defibrillator dabei und einen knallroten Notarztrucksack auf dem Rücken. Als er Oma erblickt, geht er sofort auf die Knie.
    «Imke, kannst du mich verstehen?», fragt er ruhig.
    Oma nimmt ihre gesamte Kraft zusammen und röchelt: «Keine Luft!»
    Mir wird schlecht vor Angst.
    Dr.   Behnke misst ihren Blutdruck, leuchtet in ihre Augen und legt ihr einen Tropf an. Jetzt kommen zwei Krankenwagenfahrer mit einer Trage herein und betten Oma darauf, während Dr.   Behnke den Tropf in der Hand hält. Kleinigkeiten fallen mir auf; einem der Sanitäter fehlen oben links zwei Zähne. Ich hätte mir gewünscht, dass Oma von perfektaussehenden Männern getragen wird, aber das ist natürlich komplett unwichtig. Mit solchen Ablenkungen schützt sich das Hirn lediglich vorm Zusammenbruch. Wir folgen der Trage ins Treppenhaus und sehen zu, wie die Männer Oma mit schnellen, gekonnten Handgriffen in den Krankenwagen schieben. Dr.   Behnke springt mit hinein und befestigt den Tropf an einem Haken in der Decke. Schon verteilt sich die Familie in die Autos: Regina, Holger und John in Reginas Golf, Arne und ich springen in seinen V W-Bus , Cord fährt alleine in seinem Volvo-Geländewagen. Keiner schnallt sich an, wir fahren sofort los.
     
    Das Inselkrankenhaus im Rebbelstieg ist ein einstöckiger Neubau mit zwei großen Duckdalben vor der Tür. Das sind massive hölzerne Pfähle, an denen große Schiffe festmachen können. Überängstliche Touristen vermuten, dass bei schweren Überflutungen hier die Rettungsboote anlegen, um die Kranken zu evakuieren. Doch damit liegen sie falsch: Das Krankenhaus liegt hoch genug, es ist reine Kunst am Bau.
    Wir fahren auf den Parkplatz der Notaufnahme, wo bereits der Krankenwagen mit geöffneten Türen steht. Es musste wohl alles sehr schnell gehen. Wieder springt mein Gehirn auf Nebensächlichkeiten an, um den Druck herunterzufahren, registriert das Baumhaus hinter der hohen Hecke zum Nachbargrundstück und die Aufschriften vor drei Stellplätzen neben dem Eingang, zweimal «Diensthabender Arzt», einmal «O P-Bereitschaft ». Auf Letzterem parkt ein schrottiger Renault. Hoffentlich benutzt der Arzt beruflich besseres Gerät.
    In der Notaufnahme, wo Oma bereits behandelt wird, werden wir von einer energischen Schwester angewiesen,im Wartezimmer zu bleiben. Ich gehe unruhig auf und ab. In einer Ecke hängen Fotos von Ärztinnen, Ärzten und Schwestern. Dicke, dünne, alte, junge, blonde, dunkelhaarige, hübsche, nicht so hübsche. Ich schaue mir jedes Bild genau an, als hinge davon Omas Leben ab. Regina hat ihren Kopf auf Holgers Schulter gelegt, während John eine Tier-Zeitschrift liest. Arne trommelt mit den Fingern leise gegen den Kaffeeautomaten und kämpft mit den Tränen. Cord gibt ihm einen tröstenden Klaps auf die Schulter.
    Niemand hat noch Reserven. Wie konnte es so weit kommen?
    Das Wartezimmer wird zum U-Boot , das auf Grund gelaufen ist. Der Druck im Inneren nimmt von Minute zu Minute zu, keiner kommt heraus. Alle atmen immer schwerer und lauter, es ist unerträglich.
    Die Zeit vergeht nicht.
    Oma

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