Oma ihr klein Häuschen
darf nicht sterben!
Wenn es um Gesundheit geht, gibt es keine Gerechtigkeit, das wissen wir alle. Die größten Arschlöcher werden muntere neunzig, während zur gleichen Zeit eine alleinerziehende Mutter mit vierzig an Krebs stirbt. Sollten Gebete nützen, müssen sie jetzt gesprochen werden. Ich bete drei stille Vaterunser hintereinander. Und bin mit Sicherheit nicht der Einzige von uns, der das tut.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Dr. Behnke herein, der die ganze Zeit bei seiner Freundin geblieben ist und seinem Kollegen assistiert hat.
In mir krampft sich alles zusammen. Regina schluchzt laut auf, noch bevor er etwas gesagt hat.
«Wie es aussieht, war es nur ein Schwächeanfall», erklärt Dr. Behnke, «Imkes Herz pumpt wieder stabil.»
Er versucht ein Lächeln.
«Das heißt, vorher war es nicht stabil», stelle ich fest.
«Nein», klärt er uns auf, «deswegen muss sie hier bleiben und weiter beobachtet werden. Es kann ein harmloser Infekt sein, der sich da ankündigt, oder etwas Ernstes. Das müssen wir aber erst herausbekommen.»
«Können wir sie sehen?», bittet Cord.
Dr. Behnke schüttelt den Kopf: «Imke braucht jetzt Ruhe. Wir haben ihr ein Schlafmittel gegeben. Ich schaue heute Abend noch einmal bei ihr vorbei.»
Er verabschiedet sich.
Keiner von uns regt sich, wir bleiben alle sitzen. Ich atme das erste Mal wieder tief durch.
«Halleluja», stöhnt Arne erleichtert.
«Die Kuh ist noch nicht vom Eis», warnt Regina plump, aber wahrheitsgemäß.
«Nun hör mal auf», protestiere ich gegen ihren Pessimismus.
Arne baut sich vor Cord auf.
«Und komm Mama nie wieder mit dieser Vatergeschichte», droht er.
Cord hält seinem Blick stand und sagt gar nichts. Langsam schlurfen alle Riewerts hinaus.
«Wir sollten Omas Freund aus Amrum holen», schlägt Cord vor, als wir alle zusammen auf dem Parkplatz stehen.
«Ich will den nicht sehen», sagt Regina trotzig.
«Johannes wird sie aufmuntern», stimme ich Cord zu.
«Oder auch nicht. Ihr habt doch gesagt, er ist selber krank», sagt Regina.
«Oma und Johannes sind seit vierzig Jahren zusammen», erkläre ich ihr, «er ist der wichtigste Mensch in ihrem Leben.»
Regina verschränkt ihre dicken Arme vor der Brust. «Na ja! Wie man’s nimmt.»
Es ist die reine Eifersucht, vermute ich.
«Bis auf ihre Familie natürlich», füge ich hinzu.
Sie nickt zufrieden.
Jetzt legt mir Cord die Hand auf die Schulter: «Wie krank ist Johannes denn wirklich?»
«Er liegt im Bett und kann nicht aufstehen», sage ich, «keine Ahnung, ob er überhaupt transportfähig ist.»
Cord nickt mir auffordernd zu: «Er wird Mama auf jeden Fall sehen wollen. Komm, Sönke, wir packen ihn in meinen Wagen und bringen ihn hierher nach Föhr.»
«Willst du mitkommen?», frage ich Arne.
«Das kriegt ihr schon hin», murmelt der abwesend und geht allein vom Gelände. Er sieht vollkommen fertig aus. Seinen V W-Bus lässt er auf dem Parkplatz stehen.
Ehrlich gesagt, ist mir gar nicht wohl bei dem Gedanken an eine Reise mit meinem psychotischen Onkel. Wenn er Johannes weiter für seinen Vater hält, endet das im Chaos.
Aber kann ich mich dem entziehen?
21. Blut ist dicker als Wasser
Der Himmel ist zwar bedeckt, aber freundlich und hell. Cord und ich setzen uns aufs windgeschützte Achterdeck, wo es angenehm warm ist. Ich ziehe Jackett und Seemannspulli aus, während Cord mit irrem Lächeln aufs Wasser starrt. Er hat sogar den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet, was er sonst nie tut. Vermutlich glaubt er, in wenigen Minuten das erste Mal seinem leiblichen Vater gegenüberzutreten, und schwitzt deshalb vor Aufregung.
Mir ist die ganze Geschichte ein Rätsel. Einerseits glaube ich Oma, andererseits frage ich mich, wie das Genlabor zu seinem Befund gekommen ist. Im Prinzip müsste man eine Gegenprobe durchführen, aber auf die Idee ist meine Polizistinnen-Cousine natürlich vor mir gekommen. Als ich vorhin mit Maria telefonierte, schlug sie vor, dass ich eine Haarsträhne von Johannes besorge. Sie kennt jemanden bei der Spurensicherung in Husum, der einen amtlichen Vergleich mit Cords DNA machen kann, bei dem hat sie ohnehin noch etwas gut.
Bloß: Wie stellt sie sich das vor?
Ich kann doch nicht einfach mit einer Schere zu einem Todkranken gehen und ihm einfach ein Büschel Haare abschneiden, schon gar nicht, wenn ich ihn kaum kenne.Andererseits hat sie natürlich recht, denn dann ist die Sache endgültig geklärt.
Seltsamerweise scheint Cord
Weitere Kostenlose Bücher