Oma ihr klein Häuschen
Anstrengung ein Wort ab: «Krank …»
«Strengen Sie sich, äh, streng dich nicht zu sehr an», bittet Maria leise. Sehe ich da Tränen in ihren Augen? Ich schaue noch einmal genauer hin: Tatsächlich, eine einzelne Träne läuft ihr quer über die rechte Wange.
«Wir haben uns Sorgen gemacht um deine Freundin», erzähle ich.
Komisch, meine Oma «Freundin» zu nennen.
Er nickt.
«Aber Oma hatte keine Chance», grinst Maria aufmunternd, trotz ihrer feuchten Augen, «wir hätten sie auch in Sibirien gefunden.»
Johannes schüttelt fast unmerklich den Kopf und deutet ein schiefes Lächeln an. Sein Blick wird starr und entfernt sich nun wieder. Ob er an den russischen Norden denkt, den er so gut kennt? Jetzt fallen ihm die Augen zu.
«Wir kommen bald wieder», verspreche ich mit einem dicken Kloß im Hals. Leise entfernen Maria und ich uns aus dem Wohnzimmer in Richtung Flur. Oma folgt uns.
«Jetzt habt ihr einige Fragen, schätze ich», vermutet Oma, «die Reisen nach Russland und warum ich nie darüber geredet habe, nicht wahr?»
Maria und ich stehen ganz nah beieinander, weder sie noch ich mögen schon reden.
Maria räuspert sich.
«Wie geht es
dir
denn?», fragt Maria Oma nun.
«Ich komme zurecht.»
«Ist Johannes Russe?», will ich dann doch wissen.
«Im Herzen. Er war Professor für Russistik in Kiel.»
«Dann war er nur am Wochenende hier?»
«Und in den Semesterferien. Aber ich war auch häufig bei ihm in Kiel. Er hat dort nebenbei bei der Telefonseelsorge gearbeitet. Das lag ihm so am Herzen, dass er schlecht wegkam.»
Jetzt stützt sich Oma mit ausgestrecktem Arm an der Wand ab. Sie ist erschöpfter, als sie zugeben mag, was auch ihre Schminke nicht überdecken kann.
«Alles in Ordnung?», erkundige ich mich besorgt.
«Jaja.»
Maria und ich werfen uns einen kurzen, einvernehmlichen Blick zu: Wir sollten jetzt gehen.
«Dürfen wir der Familie verraten, dass wir dich gefunden haben?», vergewissere ich mich.
«Ihr dürft. Morgen holen wir meinen Geburtstag nach, mit allen. So gegen drei bei mir. Sagt ihr den anderen Bescheid?»
Ich versuche, sie zu bremsen: «Hat das nicht Zeit?»
Oma schüttelt den Kopf: «Ich will es so. Möchtet ihr noch einen Tee?»
«Nein, danke, wir möchten gerne die nächste Fähre nach Föhr kriegen, da müssen wir uns beeilen.»
Wir umarmen Oma und gehen aus dem Haus.
Draußen erwartet uns die Krankenschwester und bietet uns freundlich an, uns mit ihrem Polo über die Inselstraße zum Fähranleger nach Wittdün zu bringen, was wir dankend annehmen. Während der Fahrt sagen Maria und ich kein Wort. Wir hängen beide unseren Gedanken nach, was die Frau vom Pflegedienst offenbar vollkommen in Ordnung findet, denn auch sie hält den Mund.
Angenehmes Nordfriesland.
Merkwürdig wird es erst, als wir mit einem Pulk schwatzender Urlauber an Bord der Fähre gehen. Maria und ich steuern zielstrebig das Achterdeck an und stellen uns an die Reling. Das Schiff legt ab, und bald rückt Amrum wieder in die Ferne. Ich merke, dass mein Gesicht noch nachglüht von der Wattwanderung. Über der offenen See hat sich eine tiefhängende, schwarze Wolke gebildet, die das Meer bedrohlich dunkel aussehen lässt. Plötzlich reißt die Wolke in der Mitte auf, und die Sonne leuchtet durch die runde Öffnung auf das gekräuselte Wasser wie ein kilometergroßer, heller Scheinwerfer. Dann schüttet es aus der Wolke heraus, der Lichtkegel bleibt für einen Moment davon verschont, eine helle Insel im Wasser. Im nächsten Moment schließt sich die Wolke wie ein Vorhang, und der Regen peitscht auch hier herunter.
Ich setze meine Kapuze auf: «Hoffentlich wird Johannes bald gesund.»
«Wieso sind sie nach dem Tod von Opa nicht zusammengezogen?», fragt Maria.
«Keine Ahnung. Oma scheint sich aber nicht einsam gefühlt zu haben.»
Maria sucht meinen Blick. «Ich bin gespannt, wie mein Vater darauf reagiert.»
«Arne? Der muss sich gerade melden mit seinen tausend Affären.»
«Papa ist ein Muttersöhnchen, unterschätz das nicht.»
«Er wird es überleben. Oma muss sich vor niemandem rechtfertigen.»
«Genauso wenig, wie ich mich für einen Lover rechtfertigen wollte», sagt Maria. «Egal, wie peinlich er ist.»
«Gab es denn so was schon mal?»
Ich kann es einfach nicht lassen, selbst jetzt nicht.
«Was?»
«Einen peinlichen Lover.»
Keine Antwort.
«War er so peinlich, dass du auch jetzt nicht über ihn reden kannst?»
Maria grinst mir direkt ins Gesicht und hält
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