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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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Sönke, das hat er nicht verdient. Bei der Kieler Telefonseelsorge hat Johannes so vielen Menschen geholfen. Einmal hat er drei Stunden mit einem Mann geredet, der auf einer Bonner Rheinbrücke stand und sich runterstürzen wollte. Er hatte gerade seine Frau bei einem Verkehrsunfall verloren, den er selbst verursacht hatte. Johannes konnte ihn überzeugen, nicht zu springen, was ihm der Mann später sehr gedankt hat. So etwas war Johannes wichtiger als seine Arbeit an der Universität.»
    Es klingt vielleicht lächerlich, was ich jetzt denke, und öffentlich würde ich es nie zugeben. Aber ich sehne mich in meinem unübersichtlichen Erwachsenenleben oft nach einem Menschen, der mir sagen kann, was richtig und was falsch ist, wenn ich nicht mehr durchblicke. Kein Guru,sondern einfach ein weiser Mensch, der einem hilft. Natürlich weiß ich, dass es so jemanden nicht geben kann, und selbst ein Therapeut kann einem im besten Fall nur die richtigen Fragen stellen, die Entscheidungen muss man selbst fällen.
    Aber mal angenommen, es gäbe diesen Menschen? Nach dem, was Oma über Johannes erzählt hat, kommt er dem schon sehr nah.
    Ein Gelehrter, der sich mit Biographien beschäftigt und mehr Lebenswege kennt als die meisten. Der zwischen Moskau, Kieler Förde, Sibirien und Wattenmeer pendelt und über den Tellerrand schauen kann. Wenn Johannes wieder gesund ist, würde ich gern ausführlich mit ihm reden, das kann Oma ihm schon mal ausrichten. Denn spätestens wenn ich wieder auf dem Festland bin, brauche ich einen Plan.
    «Wie kann er jemand in Bonn retten, wenn er bei der Kieler Telefonseelsorge war?», hakt Cord nach. Er wirkt wie ein misstrauischer Vernehmungsbeamter, der eine Verdächtige überführen will. Noch eine solche Frage, und ich gehe ihm an die Gurgel.
    Doch Oma kennt sich aus: «Wenn du übers Handy bei der Telefonseelsorge anrufst, wirst du bundesweit irgendwohin vermittelt.»
    «Wann hat das begonnen mit euch?», erkundigt sich Arne jetzt. Er ist der Entspannteste von allen – neben Holger und John natürlich.
    «Mitte der Sechziger», erklärt Oma.
    «Dann bist du seit über vierzig Jahren mit dem Mann zusammen?», staunt Regina.
    «Ja.»
    «Du hattest meine ganze Kindheit lang Sex mit einemFremden?», schluchzt sie theatralisch. Ihr Sohn John schiebt sich schnell ein weiteres Stück Friesentorte in den Mund.
    «Das geht zu weit, Regina!», sagt Arne. «Was erwartest du denn von Oma? Dass sie dich in ihr Liebesleben einweiht? Du warst noch ein Kind! Stell dir mal vor,
du
hättest einen Lover und   …» Er sieht betreten zu Holger und John und lässt seinen Gedanken unvollendet. Kluge Entscheidung, Arne.
    «Wieso hast du mich und Cord überhaupt bekommen?», fragt Regina ihre Mutter, «wenn du eigentlich mit jemand anderem zusammen warst?»
    Oma weiß darauf keine Antwort, außer: «Das Leben ist eben nicht immer logisch.»
    Was man bei seinen Eltern am wenigsten akzeptiert   …
    «Und ich habe immer gedacht, ich bin in einer harmonischen Familie aufgewachsen», gibt Regina frustriert zurück.
    Cord lacht hämisch auf: «Nicht im Ernst, oder?»
    «Von dir mal abgesehen», winkt Regina ab.
    «Regina, also wirklich! Reiß dich zusammen!», sagt Holger. Er befürchtet zu Recht, dass das alles nicht gut endet.
    «Du hast uns nicht die Wahrheit gesagt, Mama», sagt Cord nun ganz leise und ohne jede Spur von Unsicherheit.
    Ich ahne, was jetzt kommt.
    «Doch, das ist die Wahrheit», widerspricht Oma.
    «Ich bin also das Kind von Richard Riewerts?»
    «Von wem denn sonst?» Oma wird jetzt wütend, das sehe ich ihr an.
    «Richard ist nicht mein Vater.»
    Stille.
    Alle starren Cord an.
    «Damit rennst du am besten zu einem Therapeuten», schlägt Arne vor.
    «Ich weiß, es war nicht einfach für euch mit eurem Vater», sagt Oma und scheint Cords Vermutung ignorieren zu wollen, denn sie wendet sich nun an Regina. «Ich wollte tatsächlich, dass du in einer intakten Familie aufwächst. Vor allem für dich habe ich meine Ehe weitergeführt, so gut es eben ging.»
    Reginas Enttäuschung mindert das kaum: «Es war alles eine riesige Lüge.»
    «Na ja, eher ein Arrangement. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Und es muss nicht das Schlechteste sein.»
    Arne verschluckt sich fast an seinem zweiten Korn: «Vater wusste davon?»
    «Sagen wir mal so, er ahnte es.»
    «Richard ist nicht mein Vater!», wiederholt Cord nochmal lauter.
    Arne stöhnt auf: «Hual ap!»
    Hör auf damit.
    Jetzt hat Cord seinen großen

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