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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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jedenfalls hoffe ich das.
    Also rauschen wir über die Inselstraße nach Norddorf. Am Oode Waii steht immer noch der Lada Kombi vor der Tür. Ich könnte wetten, dass sich kaum ein Mensch in Deutschland freiwillig einen derartigen Wagen kaufen würde – außer eben einem Russischprofessor. Es ist eine liebenswürdige Verbeugung vor dem Land, in dem er so oft war. Auch und gerade weil es ein Schrottauto ist.
    «Hier lebt er?», juchzt Cord aufgeregt und schaut sich um.
    «Ja.»
    Mir wird immer mulmiger zumute. Kann man einen kranken alten Mann meinen durchgeknallten Onkel zumuten, der noch dazu vorhat, sich als sein Sohn auszugeben?
    Zu spät. Die Wohnungstür geht auf – und Christa steht vor uns. Komischerweise wundert mich das nicht einmal, aber irgendwie ärgert es mich, wie nahe sie die ganze Zeit bei Oma gewesen sein muss.
    «Moin, Christa.»
    «Moin, Sönke, Moin, Cord.»
    «Hast du das von Oma gehört?», frage ich.
    Christa nickt betreten: «Wie geht es ihr?»
    «Das wird schon.»
    Aus dem Wohnzimmer dringt leise Sinfonie-Musik.
    Cord spitzt die Ohren: «Was ist das dadrinnen? Mozart?»
    «Ne, Schostakowitsch.»
    «Ich habe Russland immer geliebt», schwärmt er nun. «Das Land hat in mir immer ein bestimmtes Gefühl ausgelöst, das ich mir nie so richtig erklären konnte. Jetzt weiß ich, warum.»
    Was labert der da?
    Ich glaube, er ist jetzt schon weit drüber, dabei hat er seinen vermeintlichen Vater noch gar nicht gesehen.
    «Wir wollten Johannes holen, das wird Oma aufmuntern», kündigt Cord an und tritt dabei vor Aufregung von einem Bein aufs andere.
    Christa schüttelt den Kopf: «Johannes ist nicht transportfähig.»
    «Aber   …»
    «Er liegt im Sterben. Es dauert nicht mehr lange.»
    Erschrocken hält sich Cord die Hand vor den Mund: «Das darf nicht sein.»
    «Kennst du ihn?», fragt Christa verwirrt.
    «Eben nicht. – Ich möchte ihn sehen.»
    «Aber nur von weitem!», gehe ich sofort dazwischen und werfe Christa einen eindringlichen Blick zu. Den kann sie leider nicht deuten, trotz ihrer übersinnlichen Kräfte. Ich möchte unbedingt vermeiden, dass Cord sich dem sterbenden Johannes heulend aufs Bett wirft.
    Christa öffnet die Tür. Die spröde Musik von Schostakowitsch wird lauter. Die kyrillischen Schriftzeichen auf den Buchrücken wirken beim zweiten Besuch fast schon familiär, genauso wie die Fotos von Oma und Johannes auf dem dunklen Eichenparkett. Jetzt eilt Cord auf das Bett in der Ecke zu und ruft: «Vaaater!»
    Christa schaut mich erschrocken an: «Was hat der denn?»
    «Er glaubt, Johannes ist sein Vater.»
    «Waaas?»
    Cord steht bereits neben Johannes’ Bett. «Vater, ich bedauere, dass wir uns nicht früher kennengelernt haben. Ich habe Jahrzehnte auf dich gewartet und gelitten   …»
    «Bitte!», unterbricht ihn Christa rigoros, «das genügt.»
    «…   und jetzt erst bin ich dort angekommen, wo ich hingehöre.»
    Johannes öffnet die Augen und stöhnt: «Weg!»
    Dann schläft er wieder ein.
    In einem Anfall von Klarheit – oder von Wahnsinn? – nehme ich die kleine Verbandschere, die auf dem Nachtschrank neben dem Bett liegt, und reiche sie Christa.
    «Könntest du Johannes bitte eine Strähne aus dem Haar schneiden?»
    Christa ist entsetzt: «Seid ihr jetzt alle geisteskrank geworden?»
    Aber Cord versteht sofort: «Wir müssen einen weiteren Gentest machen, der alles beweist.»
    Kurz blickt Christa uns erstaunt an, dann nickt sie und tritt ohne zu zögern an Johannes’ Bett. Sie schneidet ihm vorsichtig eine Strähne aus dem Haar und legt sie in eine kleine Kaufhof-Tüte, die ebenfalls auf dem Nachttisch liegt.
    «Ich bleibe hier», verkündet Cord, als ich die Tüte nehme und nun Anstalten mache zu gehen.
    Ich fasse ihn fest am Ellenbogen: «Cord, es reicht. Dein Vater braucht jetzt Ruhe.»
    Ich habe extra «dein Vater» gesagt, um ihn zu besänftigen.
    Mit Erfolg, denn jetzt lässt mein «Halb-Onkel» sich widerstandslos von Christa und mir hinausbringen.
    Im Flur blickt er verträumt auf die Fotos von den Dünenlandschaftenund fragt: «Habt ihr bemerkt, wie ähnlich wir uns sehen?», ruft er.
    Er meint sich und diesen von Schmerzen entstellten Menschen? Jetzt muss er vollkommen abgetaucht sein in seine Parallelwelt. Wie bekomme ich den bloß wieder heil nach Föhr zurück?
    «Wir haben die Haare als Beweis, Cord», erinnere ich ihn, «Maria lässt sie von der Spurensicherung untersuchen, und dann kannst du ganz sicher sein.»
    «Er sieht so aus wie ich!»,

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