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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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Humphrey werde nun ohne weitere Aufforderung seine Lebensgeschichte erzählen. Aber Humphrey warf ihm lediglich einen abweisenden Blick zu und sagte kühl:
    «Ich fürchte, ich bin aus rein privaten Gründen in Moskau, die niemand außer mir selbst interessieren dürften.»
    Er hatte keine Ahnung, welcher Nationalität der kleine Mann war, was er in Moskau zu tun hatte oder wo seine politischen Sympathien lagen. Er schien aber durch Humphreys Zurückweisung nicht im geringsten verletzt zu sein.
    «Aber da irren Sie, mein Freund», sagte er fröhlich. «In diesem Restaurant interessiert mich alles. Doch wir wollen erst unser Essen bestellen.»
    Er schnippte mit den Fingern, und wie durch Hexerei erschien ein Kellner. Er bestellte sein eigenes Essen in schnellem Russisch und wandte sich dann fragend zu Humphrey.
    «Menü Nummer vierundsechzig», antwortete Humphrey steif.
    «Das ist nicht gut. Ich weiß, daß die Engländer gern Beefsteak essen, aber hier sind die Steaks nicht wie in London. Sie wären sehr viel besser mit einem Kievsky-Kotelett bedient.»
    Er bestellte Humphreys Essen nach eigenem Geschmack und fügte noch verschiedene Weisungen über den Frischegrad des Brotes und die Qualität des Kaffees hinzu.
    Dann wandte er sich wieder dem Tisch zu und ließ seinen Blick über die Gäste des Restaurants schweifen.
    «Für einen Volkswirtschaftler ist es hochinteressant, in diesem Restaurant zu sitzen und Jahr für Jahr zu hören, was die Russen kaufen oder verkaufen.» Humphreys Ablehnung und sein Desinteresse an Moskau schienen ihn nicht im geringsten zu stören. «In manchen Jahren sind es nur wenige Geschäfte, in manchen sehr viele. Und immer ist es sehr lehrreich.»
    «Sie sind also Volkswirtschaftler?» fragte Humphrey. Ob er wollte oder nicht, er wurde in das Moskauer Spiel mit hineingezogen, neugierige Fragen an andere Ausländer zu stellen.
    Der kleine Mann beantwortete dieses schwache Zeichen des Interesses mit einem verneinenden Lachen.
    «Nur als Laie. Nein, o nein. Ich bin ebenfalls Geschäftsmann. Aus Portugal. Ich verkaufe Korken.»
    «Korken?»
    «Korken für Flaschen, Wodkaflaschen, Weinflaschen, Sektflaschen. Das ist etwas, was die Russen nie entbehren können. Und in Portugal gibt es die besten Korken der Welt. Eine kleine Industrie, aber unentbehrlich. So komme ich jedes Jahr her und mache gute Geschäfte; ob Revolution, ob Krieg, ob Freundschaft oder Feindschaft - ich verkaufe meine Korken.»
    «Soll das heißen, daß Sie schon in zaristischen Zeiten hier waren?» fragte Humphrey ungläubig.
    Der kleine Mann nickte vergnügt und zeigte dann wehmütig auf seinen kahlen braunen Kopf.
    «Als ganz junger Mann war ich zum erstenmal mit meinem Vater hier. Ich erinnere mich daran, wie wir vor dem Hotel Metropol standen und die Zarin und ihre Töchter in einem offenen Wagen vorbeifahren sahen.»
    «Vor diesem Hotel?»
    «Wo sonst? Es hat sich nicht sehr verändert, und hier haben schon immer die meisten Ausländer gewohnt.»
    Der Kellner war inzwischen mit ihrem Essen zurückgekommen, und Humphrey konnte bald die Behauptung seines neuen portugiesischen Freundes bestätigen, daß nämlich die Attraktion des Hauses weniger das Essen war als die Unterhaltung. Währenddessen hatte sein Tischnachbar nicht aufgehört zu reden.
    «Für Ausländer hat sich in Rußland seit meinem ersten Besuch überhaupt nicht viel geändert. Es geht gelegentlich ein wenig auf und ab, und manchmal ist das Mißtrauen größer, aber über die Jahre hin ist es doch meist dasselbe. Manche Geschäftsleute finden es unmöglich», sagte der Portugiese zwischen zwei Bissen. «Aber ich weiß, wie man mit den Russen Geschäfte macht und habe deshalb keine Schwierigkeiten.»
    «Ist das ein Geheimnis?» Humphrey entdeckte, daß es ganz einfach war, Fragen zu stellen, wenn man erst einmal damit begonnen hatte.
    «Gar kein Geheimnis. Man muß etwas haben, was die Russen haben wollen, und dann macht man ein Geschäft. Sie wollen meine Korken haben, also geht alles ganz glatt. Wenn sie aufhören würden, meine Korken zu wollen, dann würde alles sehr schwierig werden. Ich würde nie einen Dolmetscher bekommen, wenn ich einen brauche. Alle Leute, die ich besuchen will, würden gerade sein. Tag für Tag würde ich nichts ausrichten und völlig nervös werden.»
    Humphrey verdaute, was er eben gehört hatte. Es klang seltsam vertraut.
    «Aber was passiert», sagte er langsam, «wenn man keine Korken zu verkaufen hat und niemand

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