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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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sind nicht aus eigenem Antrieb hergekommen, um Ihre Tante zu holen? Sondern weil Ihr Vater es gesagt hat? Das ist sehr gut, sehr gehorsam. Mein Sohn ist auch sehr gut und gehorsam, aber vielleicht ist er doch älter als Sie. Früher brauchte ich nur zu befehlen, und mein Sohn gehorchte. Jetzt ist das mehr wie unter Erwachsenen. Ich muß ihm Gründe angeben, wenn ich ihn um etwas bitte, und wir besprechen und entscheiden gemeinsam, was zu tun ist.»
    Der kleine Portugiese sah Humphrey so sorgenvoll an, daß dieser sich zur Verteidigung getrieben fühlte.
    «Aber natürlich hat mein Vater Gründe angegeben. Sehen Sie, meine Tante ist nicht nur ziemlich exzentrisch, sie macht sich geradezu ein Vergnügen daraus, ihre Eigenartigkeiten zur Schau zu stellen. Für die Familie ist es manchmal sehr unangenehm, wenn bekannt wird, in was für unmögliche Situationen sie sich bringt.»
    «Da sie aber durchaus in der Lage zu sein scheint, sich auch wieder selbst herauszubringen, kann ich nicht recht verstehen, warum das Ganze die Leute nicht einfach amüsiert», gab Mr. Ferreira zu bedenken.
    «Keine Familie läßt sich gern ins Lächerliche ziehen», sagte Humphrey mürrisch.
    «Keine englische Familie», korrigierte Mr. Ferreira sanft. «Die anständige englische Familie macht ihre Angelegenheiten mit sich selbst ab, und natürlich hat darüber niemand zu lachen. Ich meine, jede englische Familie sollte ihre Miss Baker haben, damit sie menschlich wird. Wer weiß, vielleicht fangen dann die Engländer eines Tages an, die andern zu verstehen.»
    Er angelte unter dem Bett nach seinen Schuhen, und als er sie endlich gefunden hatte, fragte er plötzlich:
    «Sind Sie zum erstenmal im Ausland?»
    «Nicht direkt», sagte Humphrey widerwillig. «Ich bin ein paarmal in Paris gewesen.»
    «Ah, Paris zählt nicht. Jetzt sind Sie zum erstenmal im Ausland, um etwas zu erledigen, Sie haben zum erstenmal mit Ausländern nicht nur zum Vergnügen zu tun. Für einen Engländer ist das eine interessante Erfahrung. Sie sollten Ihrer Miss Baker dankbar sein, daß sie Sie dazu veranlaßt hat. Ich möchte wetten, wenn einer von Ihrer Familie je im Ausland war, dann nur, weil sie ihn dazu gezwungen hat. Ich würde sie gern kennenlernen, und ich finde auch, Sie sollten sie mit nach Hause nehmen, aber nur aus Sorge, weil sie in diesem hohen Alter allein herumwandert. Und nicht, weil es unangenehm für Ihren Vater und für die ach so korrekte Familie ist.»
    «Ich will sie ja mit nach Hause nehmen», sagte Humphrey. «Das dumme ist nur, daß ich sie nicht finden kann.»
    «Sie können sie in Moskau nicht finden?» Manuel Ferreira war wirklich überrascht. «Aber da gibt es doch kaum Möglichkeiten für einen Ausländer, verloren zu gehen. Es gibt etwa fünf Hotels, in denen sie sein könnte, aber sie ist höchstwahrscheinlich hier.»
    «Hier eben nicht», sagte Humphrey müde. «Das ist das einzige, was ich heute habe herausbekommen können.»
    «Geben Sie mir das Telefon», befahl Mr. Ferreira, während er seine Schuhe zuschnürte. «Wir werden es bei allen probieren. Sie haben ein winziges Problem.»
    Humphrey hörte zu, während er in fließendem Russisch mit verschiedenen Hotels sprach - dem Hotel National, dem Hotel Moskwa, dem Sowjetskaja, dem Leningradskaja, dem Savoy. In keinem von ihnen war eine Miss Lavinia Baker registriert.
    Nach einer Stunde suchten sie wieder das Restaurant auf, und Mr. Ferreira, der mit dem Eifer eines Künstlers an die Vollendung seines Werks ging, begann sofort eine Unterhaltung mit einer Gruppe dänischer Geschäftsleute. Später wandte er seine Aufmerksamkeit einem belgischen Ikonen-Fotografen zu. Als er beim Kaffee angekommen war, kehrte er triumphierend zu Humphrey zurück - nachdem er auf dem Weg noch einen Tisch voll indonesischer Volkswirtschaftler mitgenommen hatte.
    «Es ist klar, daß Miss Baker oft in ihrem Zimmer gegessen haben muß, sonst hätte ich selbst sie kaum übersehen», verkündete er tief befriedigt. «Aber alle haben sie gesehen. Sie hat gestern hier Mittag gegessen und war noch heute vormittag im Restaurant. Sie muß hier im Hotel sein, und man hat Ihnen eine falsche Auskunft gegeben. Kommen Sie, wir fragen die Verwalterin.»
    Angesichts der gebieterischen Beharrlichkeit Mr. Ferreiras wagte keine Verwalterin, «zu Tisch» zu sein und er konnte Humphrey bald sagen, daß Miss Baker während der letzten drei Wochen im Metropol gewohnt und an diesem Vormittag das Hotel verlassen hatte.
    «Also ist sie

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