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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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ihrem ersten großzügigen Impuls fast wieder erholt und überlegte, daß Miss Baker doch eine äußerst gebrechlich wirkende alte Dame sei, deren Erkältung sich leicht zu einer Lungenentzündung auswachsen konnte, während sie ganz allein in der Wohnung war - als ihre Besucherin taxierte, daß es an der Zeit war, die Einladung endgültig anzunehmen.
    «Sie werden hier bestimmt gut aufgehoben sein», sagte Jackie etwas unsicher. «Wenn Sie irgend etwas brauchen, dann klopfen Sie einfach bei einer der Nachbarwohnungen. Es gibt hier auch einen Botschaftsarzt, der zu Ihnen kommt, wenn Ihre Erkältung schlimmer wird. O ja, und außerdem ist ja noch Fenja da. Ich habe kein Dienstmädchen, aber Fenja ist eine von den Frauen, die das Treppenhaus putzen. Sie ist eine nette alte Frau und macht die Wohnung zweimal in der Woche sauber. Ich werde sie bitten, für Sie einzukaufen, wenn Sie das mögen, und frisches Brot und Eier mitzubringen.»
    Jackie verlangte sehr wenig von den Menschen, nur sympathisch sollten sie sein. Sie war jung, und Freundschaften waren ihr wichtig. Jede neue Freundschaft, die sie schloß, war ein aufregendes Abenteuer.
    Mit ihrer faszinierenden Neigung, das Unerwartete zu sagen und zu tun und dabei stets eine völlig vernünftige Haltung zu bewahren, war Miss Baker etwas völlig Neues für Jackie. Jackies Bekanntschaft mit älteren Leuten hatte sich bisher hauptsächlich auf Verwandte und pensionierte Freunde der Familie beschränkt. Die hatten in ihr die Ansicht geweckt, daß sie entweder an jungen Leuten nicht interessiert waren oder sich dauernd entschuldigten, da sie glaubten, junge Leute könnten unmöglich Interesse an ihnen haben. Miss Baker tat keins von beidem. Sie benahm sich völlig normal, so daß man ihr Alter vergaß und sie als gleichaltrig akzeptierte.
    Miss Baker kam mit in die Küche, half beim Abwaschen und sagte dann ruhig, daß sie jetzt ins Hotel zurückfahren, ihre Rechnung bezahlen und mit ihrem Koffer zurückkommen werde.
    Der Milizsoldat, der in der Toreinfahrt zu den Diplomatenwohnungen stand und sorgfältig über die Besucher, die kamen und gingen, Buch führte, hakte auf seiner Liste «eine unbekannte Frau» ab, als sie das Haus verließ.
    Er sah sie eine knappe Stunde später nicht zurückkommen.
    Miss Baker, die entdeckte, daß sie mit ihren Reiseschecks gerade noch ihre Hotelkosten begleichen konnte, wechselte den letzten Scheck in Rubel, um die Fahrt mit dem Taxi zurück zu Jackies Wohnung zu bezahlen.
    Da Miss Baker nicht wußte, daß der Milizsoldat jeden Besucher in eine Liste eintrug, kam sie gar nicht auf den Gedanken sich zu verstecken. Und so geschah es in aller Unschuld, daß sie just in dem Augenblick unsichtbar war, als das Taxi am Wachhäuschen vorbeifuhr. Sie hatte ihre Handschuhe fallen lassen und bückte sich, um sie aufzuheben. Als sie sich, die Handschuhe in der Hand, wieder aufrichtete, hatte der gelangweilte Milizsoldat seine Eintragung bereits gemacht: «Ein leeres Taxi.»

8

    Als Humphrey gebadet, sich rasiert und gefrühstückt hatte, war es bereits Mittag. Es sprach für die Stärke der Napierschen Erziehungsgrundsätze, daß er nicht einmal auf den Gedanken kam, in Moskaus Straßen herumzuwandern und die bekannten Wahrzeichen der Stadt zu besichtigen. Fremde Länder gehörten zu Tante Lavinias ausgefallenen Ideen, und kein normaler Mensch verschwendete seine Zeit an Entdeckungsreisen.
    In Moskau zu sein, regte Humphrey weder auf noch interessierte es ihn sehr, zumal er nicht den geringsten Wunsch verspürte, auch nur einen Augenblick länger zu bleiben als unbedingt nötig, und so hatte er nur eine Absicht, nämlich Miss Baker aufzutreiben.
    Eine Stunde früher hätte er sie in der Halle finden können, als sie mit Jackie das Hotel verließ. Eine Stunde später hätte er ihr wiederum begegnen können, als sie ihren Koffer holte. In dem Niemandsland dazwischen jedoch mußte er entdecken, daß alle, die ihm Auskunft hätten geben können, «zu Tisch» waren - die Dolmetscher, die Verwalterinnen, die Assistentinnen der Verwalterinnen.
    «Also kommen Sie um zwei Uhr zurück», sagte das freundliche Mädchen, das jetzt am Empfangspult saß, mit höflicher Gleichgültigkeit. «Es wird Ihnen dann alles zur Verfügung stehen.»
    «Ich glaube, Sie haben mich nicht ganz verstanden. Ich möchte lediglich einen Blick in das Hotelregister werfen, um zu sehen, ob meine Tante hier wohnt.»
    «Bitte? Die Verwalterin ist jetzt zu Tisch. Um zwei Uhr wird sie Ihre

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