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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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er und strahlte sie gewinnend an. «Vielleicht können Sie mir helfen. Ich suche eine Miss Baker, und man sagte mir, sie wohnt in Zimmer vierhundertsiebenundzwanzig.»
    «Dort hat sie gewohnt», sagte Stewart. «Aber soweit ich weiß, hat sie vor ein paar Tagen das Hotel verlassen.»
    «Das Hotel verlassen? Meinen Sie, sie ist fort? Ganz?»
    Stewart nickte. Er war sich noch nicht schlüssig darüber, wer Miss Bakers russischer Besucher war, und sah deshalb keinen Grund, mehr Auskunft zu geben, als er bekam. Aber Humphrey, der seine Überraschung offen gezeigt hatte, mischte sich jetzt voreilig ein.
    «Miss Baker ist meine Tante, und ich suche sie ebenfalls», sagte er, ohne Stewarts warnenden Blick zu beachten. «Was wollen Sie von ihr, und wer hat Ihnen gesagt, daß sie in Zimmer vierhundertsiebenundzwanzig wohnt? »
    Das breite Gesicht des Russen verzog sich entschuldigend.
    «Bitte, nicht sprechen so schnell», sagte er und machte wieder eine seiner schlaksigen Bewegungen, diesmal mit den Armen. «Mein Englisch ist sehr rostig. Ich hoffe, daß diese Miss Baker mir hilft, es zu verbessern.»
    «Sie wollten Englischunterricht bei ihr nehmen?» fragte Stewart, der zu verstehen begann und den Russen aufmerksam betrachtete. «Und woher wissen Sie, daß sie welchen gibt?»
    Der Russe zögerte eine Sekunde, aber er war nicht dumm und konnte erraten, daß Stewart genau wußte, auf welchem Wege Miss Baker ihre Absicht bekanntgegeben hatte.
    «Ich habe einen Freund bei der Prawda», sagte er. «Er sagte mir, diese englische Dame, die im Metropol wohnt, will Englischunterricht geben gegen Unterkunft. Anscheinend hat sie an die Prawda geschrieben, um Schüler zu finden. Ich habe es mit meiner Frau besprochen. Für uns ist es nicht so nützlich wie für unsere Töchter. Sie haben Universitätsferien, und wir alle sind auf unserer Sommerdatscha auf dem Lande. Deshalb haben wir jetzt Platz. Natürlich, wenn wir im Herbst zurück nach Moskau kommen, ist das schwierig. Wir haben dann nur unsere Zweizimmerwohnung.»
    Er lächelte zaghaft, während er das sagte. Es gab seiner Geschichte den Anschein der Aufrichtigkeit, aber Stewart war immer noch nicht ganz befriedigt.
    «Und wer sind Sie?» fragte er und milderte dann seine Direktheit, indem er hinzufügte: «Wenn Miss Baker wieder hier auftaucht, wird sie Kontakt mit Ihnen auf nehmen wollen.»
    «Ich bin Fjodor Iwanowitsch Makejew», antwortete der Mann bereitwillig. «Ich bin Chefingenieur in einer Fabrik für Präzisionsinstrumente. Meine Töchter Tamara und Natascha wollen Englischlehrerinnen werden.»
    «Aha», sagte Stewart. Humphrey fragte sich, warum Stewart Fjodor Iwanowitsch nicht in sein Zimmer einlud, jetzt wo er sich doch vorgestellt hatte. Es war sein erster normaler Kontakt mit einem Sowjetbürger, und das war, wenn er Manuel Ferreira richtig verstanden hatte, etwas sehr Seltenes und mußte auf jeden Fall ausgiebigst genossen werden.
    «Also, wenn Sie uns Ihre Adresse hierlassen wollen, werden wir sie an Miss Baker weitergeben, wenn wir sie sehen», sagte Stewart.
    «Oh, die Adresse der Datscha würde sie nicht verstehen, und in unserer Wohnung in Moskau ist jetzt niemand», sagte Fjodor Iwanowitsch traurig.
    «Die Adresse der Fabrik würde genügen», schlug Stewart vor.
    «Oh, das ist Mühe für Sie. Macht nichts, ich werde wiederkommen. Vielleicht ist sie dann wieder da. Vielen Dank. Ich gehe jetzt.»
    Er verbeugte sich vor ihnen, so daß der offene Staubmantel den Boden berührte, und ging mit seinem schlaksigen Gang den Korridor hinunter.
    «Warum haben Sie ihn nicht hereingebeten und sich mit ihm unterhalten?» fragte Humphrey, als Stewart die Tür schloß. «Er war doch sehr nett.»
    «Das war ein Spitzel vom Innenministerium, der uns eine nicht sehr überzeugende Charakterrolle aus einem Stück von Tschechow vorgespielt hat», sagte Stewart mit leichter Müdigkeit in der Stimme.
    «Jetzt tragen Sie aber ein bißchen dick auf. Es klang doch alles ganz echt, was er sagte. Wahrscheinlich hätte er uns nicht viel über meine Tante erzählen können -»
    «Nein, aber er hat so viel über sie erfahren, daß er zufrieden sein kann.» Stewart war so überzeugt von seinem Verdacht, daß er nicht bereit war, Gegenargumente in Betracht zu ziehen.
    «Chefingenieur in einer Fabrik für Präzisionsinstrumente! Eine hübsche Vorstellung, aber er hat ja alles wie ein Papagei heruntergeschnurrt. Und seine beiden Töchter, Tamara und Natascha. Ich wette, er hätte uns sogar

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