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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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Bakers Paß herübergeschickt mit der Bitte, ihn über die Botschaft an sie weiterzuleiten. Man teilte uns mit, sie habe ihn am siebenundzwanzigsten Mai, am Montag, beim Intourist-Büro im Hotel Metropol zur Visum-Verlängerung eingereicht. Der Paß ist jetzt bis zum fünfzehnten Juni in Ordnung, fast noch vierzehn Tage.»
    «Dann muß sie also immer noch in Rußland sein?»
    «Ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie sie ohne ihren Paß aus Moskau herausgekommen sein sollte. Man muß ihn jedesmal vorzeigen, wenn man ein Hotelzimmer mietet oder eine Flug- oder Fahrkarte kauft.»
    Humphrey wurde plötzlich bewußt, daß Stewart Ferguson sehr nahe bei ihm neben dem Telefon stand. Er sah ihn wütend an und wechselte mit dem Hörer ans andere Ohr.
    «Würden Sie jetzt bitte die zweite Anfrage an das Ministerium richten?» schlug er vor. «Ich komme morgen vormittag bei Ihnen vorbei.»
    Er schnitt dem Vizekonsul mit einem schnellen Auf Wiedersehen das Wort ab und legte auf.
    «Ich halte es nicht für fair, etwas zu verwerten, was man belauscht hat», sagte er.
    «Alles ist fair, wenn man hinter einer Story her ist», sagte Stewart mit einem liebenswürdigen Lächeln. «Abgesehen davon stammen die beiden einzigen Sätze, die ich wirklich verstanden habe, von Ihnen, und es ist Ihre eigene Schuld, daß Sie dabei kein Blatt vor den Mund genommen haben.»
    «Wollen Sie den Kriminalroman immer noch?» fragte Humphrey.
    «Themawechsel? Sie brauchen keine Angst zu haben, ich wollte keine Fragen stellen. Ich glaube, ich weiß fürs erste genug. Aber das Buch würde ich mir gern leihen, obwohl ich heute abend kaum Zeit dafür haben werde. Ich muß einen Artikel schreiben.»
    «Hören Sie», rief Humphrey. «Warum fragen Sie nicht wenigstens erst mal bei der Botschaft an, was für eine Wirkung eine Veröffentlichung in diesem Stadium haben kann? Woher wissen Sie, daß Sie nicht großes Unheil anrichten, wenn Sie jetzt über Tante Lavinia schreiben? Wir kriegen sie sicher besser zurück, wenn wir so wenig Aufhebens machen wie möglich.»
    «Und woher weiß ich, daß ich nicht eine Menge Gutes damit tue?» antwortete Stewart. «Ich fürchte, bei jeder Story kann man beide Fragen stellen und beide Antworten geben. Aber ich pflege diese Fragen nicht zu stellen. Für mich ist nur wichtig, ob eine Story gute Schlagzeilen macht. «Rätselhaftes Verschwinden einer Engländerin in Moskau> ist eine gute Schlagzeile. Außerdem kann sie das russische Ministerium dazu bringen, alles in Abrede zu stellen, zu sagen, sie sei überhaupt nicht verschwunden, und Ihnen morgen mitzuteilen, wo sie ist. Tut mir leid, Napier, aber so ist das nun mal.»
    Stewart stürmte davon, um seinen Artikel an den Daily Guardian zu telegrafieren. Humphrey setzte sich hin und verfaßte ein weiteres Telegramm an seinen Vater, und in der Botschaft schickte der Vizekonsul eine chiffrierte Nachricht an das Auswärtige Amt nach London.

10

    Die Balkontüren in Jackies Schlafzimmer führten auf einen winzigen Eisenbalkon, und Miss Baker hatte entdeckt, wie angenehm es war, dort in der Sonne zu sitzen und über den staubigen Asphalthof hinweg auf die Dächer und Zwiebeltürme des Kremls zu blicken.
    Die ersten Tage war sie dankbar vor sich hindösend im Bett geblieben. Miss Baker hatte noch keine nähere Bekanntschaft mit Krankheiten gemacht, und dies war das erste Mal, daß sie eine Erkältung resigniert hinnahm. Es war so erholsam, in den Kissen zu liegen und sich nur aus dem Bett zu rühren, um sich eine Wärmflasche oder frischen Tee zu machen. Sie holte sich nicht einmal ein Buch aus Jackies Wohnzimmer. Ohne jedes Zeitbewußtsein döste sie friedlich durch die Stunden.
    Am dritten Tag erwachte sie plötzlich und sah jemand neben ihrem Bett stehen - eine kleine Frau von unbestimmbarem Alter mit einem breiten Lächeln und einem weißen Kopftuch.
    «Fenja», teilte die Gestalt Miss Baker nickend und grinsend mit. In der Hand hielt sie ein Staubtuch, in der andern einen Strauß verwelkter Blumen, aber sie legte beides hin und machte sich daran, Miss Bakers Kissen aufzuschütteln. Währenddessen schwatzte sie ununterbrochen auf russisch weiter, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Sie räumte das Zimmer gründlich auf und verschwand dann mit dem Staubtuch, den verwelkten Blumen und einem letzten Wortschwall in der Küche. Miss Baker hörte, wie sie in der Wohnung herumrumorte und vor sich hin summte. Fast eine Stunde war vergangen, als sie, eine Einkaufstasche in der Hand,

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