Oma klopft im Kreml an
wieder an der Schlafzimmertür erschien. Sie hielt die Tasche hoch, und diesmal verstand Miss Baker, daß sie eine Frage stellte.
«Ja», sagte Miss Baker, «wenn Sie so nett sind. Ich glaube, ich brauche
Milch und Eier.»
Fenja legte ihren Kopf auf die Seite und lachte lauthals. Dann wischte sie sich die Augen mit einem Zipfel ihres Baumwollrockes, drehte die Tasche um und schüttelte sie kräftig, um pantomimisch darzutun, daß sie leer sei.
Miss Baker nahm ihre Handtasche vom Nachttisch und zog ihren letzten Fünfundzwanzig-Rubel-Schein heraus, den Fenja freudig entgegennahm. Aber sie zuckte immer noch die Schultern, zeigte auf ihren ‘ Mund, führte pantomimisch vor, daß sie aß und trank, und fiel wieder in ihr unverständliches Russisch zurück. Miss Baker war klar, daß Fenja eine Einkaufsliste haben wollte, aber sie hatte keinen Schimmer, was sie darauf schreiben sollte. In ihrer Verzweiflung kletterte sie aus dem Bett, warf Jackies Morgenrock über und begann im Büchergestell nach einem englisch-russischen Wörterbuch zu suchen, das doch sicher vorhanden sein mußte.
Sie fand es auch gleich, aber es ging nicht, wie sie gehofft hatte, lediglich darum, auf die englischen Wörter für «Milch» und «Eier» zu zeigen und Fenja die russischen Buchstaben lesen zu lassen. Denn Fenja konnte, wie bald deutlich wurde, gar nicht lesen. Sie sagte - oder Miss Baker verstand es wenigstens so -, daß sie nicht «gramotny» sei. So gingen sie also in die Küche und deuteten auf verschiedene leere Behälter in der Hoffnung, sich damit verständlich zu machen.
«Chleb», schlug Fenja vor und zeigte auf den Brotkasten.
«Oh, Brot, ja - das wäre sehr schön», stimmte Miss Baker zu. «Und wie ist es mit Milch?»
Sie suchte vergebens nach einer Milchflasche und mußte sich schließlich damit begnügen, auf ein kleines Kännchen zu zeigen.
«Smetana?» rief Fenja.
«Vielleicht stimmt das,», sagte Miss Baker zweifelnd. «Aber ich habe das Gefühl, es müßte anders heißen.» Sie suchte weiter und entdeckte schließlich einen Aluminiumbehälter, der wie eine altmodische Milchkanne aussah.
«Moloko», nickte Fenja.
«Ja, das könnte es sein.»
Miss Baker erinnerte sich, daß sie zum Frühstück das letzte Ei gegessen hatte, konnte die Schalen aber noch wiederfinden, und sie wurden mit Hilfe ihrer Finger, einem «sechs» von Miss Baker und einem «schesti» von Fenja darüber einig, ein halbes Dutzend Eier zu kaufen.
«Ich glaube nicht, daß ich noch etwas brauche», entschied Miss Baker.
Aber Fenja war entschlossen, für einen abwechslungsreichen Küchenzettel zu sorgen. Als sie zurückkam, quoll die Tasche von Gewürzgurken, gesalzenem Fisch, getrockneten Pilzen und saurer Sahne über. Wenn sie auch nicht genau das essen würde, was sie mochte, so konnte Miss Baker doch sehen, daß sie zumindest nicht verhungern würde.
...dann kann er viel bezahlen. Man kann aber auch auf Kosten anderer auf seine Kosten kommen. Denn was einem lieb ist, muß ja nicht immer auch teuer sein.
Doch üblicherweise ist Reisen ohne Geld wie Sommer ohne Sonne, wie Baden ohne Wasser - einfach unmöglich.
Als sie über die getrockneten Pilze den Kopf schüttelte, sprudelte Fenja unverständliche Anweisungen hervor und begann schließlich, sie zu waschen, zu zerschneiden, zu braten und zu kochen.
Als Fenja schließlich gegangen war, war es bereits Mittag, und Miss Baker hatte keine Lust mehr, wieder ins Bett zu gehen. Während sie in der Wohnung herumwirtschaftete, fühlte sie langsam ihre Lebenskräfte wiederkehren. Da sie keinerlei Hemmungen hatte, in den Sachen anderer Leute herumzukramen, hatte sie bald den Inhalt von Jackies Schubladen auf das Bett gekippt und war noch am nächsten Tag damit beschäftigt, alles wieder einzuordnen. Dabei fand sie mehrere Kopfkissenbezüge, die geflickt, Leintücher, die gewendet werden mußten, und genug zu nähen und zu stopfen, um den Rest der Woche beschäftigt zu sein.
Die Tage waren hell und sonnig, Jackies Wohnung lag nach Süden, und so brachte Miss Baker die meiste Zeit auf dem kleinen Balkon zu, den Blicken vom Hof her durch eine unregelmäßige Hecke von Kletterbohnen verborgen, die Jackie in der Hoffnung zog, eines Tages dahinter ungeniert Sonnenbäder nehmen zu können.
Vom Hof her schallten Kinderstimmen schrill und aufgeregt herauf. Am Vormittag waren es im allgemeinen russische Stimmen, und Miss Baker erinnerte sich, daß ein Flügel des Wohnblocks für Diplomaten der
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