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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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Köstlich! Genau das, was ich brauchte.
    Stimmengemurmel hörte ich auch. Keine Heino-Schlager. Wie angenehm. Ich stieß die Tür auf und entdeckte als Erstes Irene Wedekind. Die hatte ich ganz vergessen. Sie saß auf der Eckbank, fest eingeklemmt zwischen Grete und Mama.
    »Heidi, nun lass Frau Wedekind doch ein bisschen Platz«, mahnte Papa gerade, und zu mir: »Hallo, Spatz. Hast du Hunger? Du kommst gerade richtig.« Er klopfte auf den freien Stuhl neben sich.
    Marie saß ganz allein auf der anderen Seite der Eckbank und schaute sehnsuchtsvoll zum Kassettenrekorder. Auf ihrem Teller verloren sich zwei Löffel Grünkohl, eine Salzkartoffel und eine halbe Wurst. Irene hatte schätzungsweise die zehnfache Menge vor sich. Fand ich gar nicht ladylike, sich so viel aufzutun. Am Ende blieb für mich nicht genug übrig.
    Oma Grete packte mit der großen Fleischgabel ein Kasselerkotelett und knallte es ganz oben auf Irenes Essensberg.
    »Das gehört auch noch dazu.«
    Ach so. Die Arme. Umzingelt von Grünkohl, Grete und Mama.
    Ein Quadratschädel schob sich durchs Küchenfenster herein und schnupperte an Frauchens Teller. Kurz zeichnete sich Hoffnung auf Irenes Gesicht ab. Sie hätte ihren Rüdiger besser kennen sollen. Der machte sich nichts aus herzhafter Nahrung.
    Grete knallte das Fenster zu.
    Rüdiger überlebte knapp.
    »Guten Appetit!«, donnerte Papa in die Runde, was so viel heißen sollte wie: »Schluss mit den Sperenzchen, jetzt wird gegessen.«
    Wenigstens ein vernünftiger Mensch am Tisch! Ich langte zu und fand zum Glück in den großen dampfenden Schüsseln noch genügend Grünkohl, Kartoffeln, Wurst und Kasseler. Ja, das auch. Seit ich wieder in der Heide lebte, wurde ich mindestens dreimal am Tag von Heißhungerattacken überfallen. Inzwischen war ich nicht mehr ganz so mager und hohlwangig wie bei meiner Ankunft. Fettes Schweinefleisch war eben nahrhafter als mageres Sushi.
    »Brav«, lobte Papa.
    »Wirst bald dick und fett werden«, meinte Grete.
    »Nele wird immer schlank bleiben«, protestierte Marie leise. »Das liegt ihr im Blut.«
    »Pfft!«, machte Grete, schoss einen bösen Blick auf Marie ab, musterte mich abfällig und schob Irene den Teller so dicht vors Gesicht, dass ihre Nasenspitze das Kotelett berührte. Alles fast gleichzeitig. Alte Damen verstehen auch was von Multitasking. »Was weißt du schon über Neles Blut?«, giftete sie ihre Schwester an. »Sie ist ein Findelkind. Schätze, sie stammt von Zigeunern ab, dunkel, wie sie ist.«
    »Du weißt genauso wenig über sie«, gab Marie leise, aber fest zurück.
    »Man sagt heutzutage Sinti und Roma«, warf Mama ein und lächelte mir liebevoll zu. Sollte so viel heißen wie: Mir egal, wenn du von einem Planwagen gefallen bist. Du bist meine Tochter, und ich liebe dich.
    Ich sie auch!
    Hm. Fahrendes Volk. Klang romantisch.
    Die Unterhaltung geriet ins Stocken. Ich spürte, wie Irene mich ansah. Lange und gründlich. Und es schien mir, dass sie etwas wusste, was allen anderen verborgen blieb. Mir auch. Schnell widmete ich mich meinem Grünkohl.
    Papa schaufelte Essen in sich hinein und war vor allen anderen fertig. Sogar vor mir. Dann fragte er Irene ausgesprochen höflich, ob sie noch Hunger habe.
    »Danke, nein«, erwiderte sie artig. Eingeklemmt, wie sie war, hatte sie sowieso kaum die Ellenbogen heben können.
    Er nahm ihren Teller weg und stellte ihn schwungvoll hinter sich auf den halbhohen Küchenschrank.
    »Unsere Gäste werden nicht wie Vieh gemästet«, verkündete er. Geschickt fing er eine ins Rutschen geratene Wurst auf und verschlang sie mit zwei Bissen.
    In Gretes Augen funkelte es verräterisch, so, als wäre sie erst jetzt auf eine prima Idee gekommen.
    »Ja«, sagte Papa, als er meinen fragenden Blick auffing. »Frau Wedekind ist unser Gast. Sie bleibt für eine Woche auf dem Hof. Freust du dich?«
    »Äh … klar.« Ich freute mich tatsächlich. Nur war mir ihre Anwesenheit nach wie vor nicht ganz geheuer. Außerdem sollte ich mich dringend um mein eigenes Leben kümmern, fand ich. Wo war das eigentlich abgeblieben? Wieso fühlte sich ein Zusammensein mit meiner Sippe ständig an wie die Umklammerung einer Riesenkrake?
    »Pfft«, machte ich jetzt auch. Frische Luft wäre gut gewesen. Hatte plötzlich so ein störendes Klingeln in den Ohren. Ich überlegte, Rüdiger einen Besuch abzustatten.
    »Irgendwo läutet unser Telefon«, bemerkte Marie.
    »Dumme alte Frau«, brummte Grete. »So hat sich unser Apparat zuletzt vor

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