Oma packt aus
nickte ich nur. Brachte gerade kein Wort heraus.
Mit einem Pfiff trennte Wolfram den eigenen Nachwuchs von den anderen Kindern. Auch Silke sprang daraufhin an seine Seite. Toll! Das war mal eine Art, seine Lieben beisammenzuhalten.
Rüdiger wirkte enttäuscht, als wir allein waren. Gibt’s noch Kuchen?
»Du spinnst wohl!«
War ja nur ’ne höfliche Frage. In seinem Bauch rumorte es lautstark. Ich tätschelte seinen Riesenkopf. »Komm, wir gehen jetzt heim.«
Am liebsten wäre ich weiter und weiter gelaufen. Immer nach Süden. Bis nach München. Meinetwegen zu Fuß und mit einem Kalbshund als Begleiter, mit dem ich mich durch die örtlichen Süßwaren fressen würde.
Schluss jetzt, Nele! Abrupt blieb ich stehen. Rüdiger bremste neben mir ab.
Zweimal war ich zu Paul nach Lüneburg gefahren, um mit ihm zu reden. Nu war mal gut. Bis nach München fuhr ich bestimmt nicht, von einer wochenlangen Wanderung ganz zu schweigen. Genau. Jetzt war er mal dran.
Seinen nächtlichen Besuch verdrängte ich vorübergehend. Passte nicht so recht in meine subjektive Wahrnehmung der Sachlage.
Mein Herz wurde schwer, als ich weiterging. Vielleicht war’s aber auch der Magen mit dem vielen Kuchen darin. Rüdiger war vorausgelaufen.
Als ich das Hoftor erreichte, hörte ich ihn laut und drohend bellen. Das klang aber gar nicht gut. Immerhin rief diesmal niemand um Hilfe. Aber jemand fluchte laut.
»Rüdiger!«, rief Irene, »komm auf der Stelle von dem Baum runter!«
Ich stoppte ab und sammelte mich. Musste wohl doch so etwas wie einen Zuckerschock haben. Schon wieder so eine akustische Halluzination.
»Das ist kindisch!«, fügte sie hinzu.
Es wurde auch weiter kräftig geflucht und gebellt. Ich war mir nicht sicher, ob ich weitergehen wollte. Eigentlich war jetzt mal gut für einen Tag. Wie jeder andere Mensch bin auch ich nur begrenzt aufnahmefähig.
»Rüdiger, aus! Bei Fuß!«
Der Lärmpegel stieg. Mein Stresspegel auch.
»Wer sind Sie denn?«, rief Papa. Das wollte ich auch wissen und trat durchs Tor. Auf den unteren Ästen einer Eiche saß ein Mann. Nicht Rüdiger. Der stand drunter und bellte wie wild.
»Rüdiger«, sagte Irene wieder. »Komm vom Baum runter. Du machst Rüdiger nur noch wilder.«
Bitte? In meinem Kopf machte es klick. Dort oben im Geäst saß der Namensgeber meines Kuchenkumpels. Mein Beinahe-Vater. Oder doch mein Vater? Ich schaute genauer hin. Nee, unmöglich. Ein rothaariger Mann mit hellblauen Augen und eine groß gewachsene Blondine brachten keine dunkle Südländerin zustande. So viel verstand ich immerhin von Genetik.
Irene schnappte sich jetzt Rüdigers Halsband, zerrte ihn zur Hollywoodschaukel und bedeutete ihm, dort zu bleiben. Er bellte weiter, schien jedoch begriffen zu haben, dass der Mann seinem Frauchen nicht an den Kragen wollte. Der zweibeinige Rüdiger sprang vom Baum und landete einigermaßen elegant auf dem Kies.
»Wieso heißt dein verrückter Hund wie ich?«, erkundigte er sich.
»Er ist nicht verrückt. Er wollte mich nur verteidigen.« Das mit dem Namen ließ sie aus.
»Vor mir? Ich habe dich doch bloß freundschaftlich umarmt.«
»Für ihn sah das anders aus. Er ist sehr eifersüchtig, musst du wissen.«
»Das erklärt noch lange nicht, warum das Vieh so heißt wie ich.«
»Na ja«, sagte Irene. »Er hat mich wohl an dich erinnert. Du isst doch auch so gern Süßes.«
Der zweibeinige Rüdiger tippte sich gegen die Stirn. »Du warst ja schon immer reichlich durchgeknallt.«
Irene ließ das unkommentiert.
Rüdiger Wolters, der Nachname fiel mir gerade wieder ein, klopfte sich den Staub von der Hose. »Ein netter Empfang, muss ich schon sagen. Da erfahre ich, dass du wieder im Lande bist, und will dich begrüßen, und prompt muss ich um mein Leben fürchten.«
»Wer hat dir das verraten?«, wollte Irene wissen.
Rüdiger grinste. »Du lebst schon zu lange in der Stadt, meine Gute. Von Wilsede bis Lüneburg weiß inzwischen jedes Kind, dass Irene Wedekind die Lüneburger Heide mit ihrer Anwesenheit beehrt.«
So hochgestochen musste man erst mal reden können. Ich trat näher, und sofort heftete sich der Blick des Besuchers auf mich. Dann schüttelte er den Kopf und wirkte zutiefst erleichtert.
»Nein, unmöglich.«
Irene hob die Augenbrauen. Offenbar hatte sich auch herumgesprochen, dass sie eine Tochter hatte. Ein uneheliches Kind, das von den Lüttjens’ großgezogen worden war. Unsere Klatschtanten aus dem Dorf konnten das aber nicht gewesen sein. Die
Weitere Kostenlose Bücher