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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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aus welcher Gegend?« Als ob das im Augenblick wichtig gewesen wäre.
    »Apulien.«
    Mein Vater war also im Absatz des Stiefels beheimatet. Aha. Ich war nur ein paar Mal am Gardasee gewesen und einmal mit Sissi in Venedig.
    Irene holte tief Luft. »Alles fing bei einem Essen an. Ich war damals seit einem Jahr mit Rüdiger zusammen. Wir sind nach Lüneburg in eine Pizzeria gefahren, um unseren Jahrestag zu feiern. Und da sah ich diesen Jungen, der die dünnen Teigstücke so elegant in die Luft geworfen hat. Das war Marcello. Ich habe mich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Und er sich in mich.«
    Woher wolltest du das wissen?, hätte ich gern gefragt, schwieg aber lieber, um ihren Redefluss nicht zu unterbrechen. Ich bekam die Antwort auch so.
    »Wir bestellten Pizza Quattro Stagioni, und ich bekam meine in Herzform. Rüdiger war stinksauer, aber ich schwebte im siebten Himmel.« Irene lächelte bei dieser ganz besonders süßen Erinnerung.
    Zwei Wochen später trennte sie sich von Rüdiger.
    »Die Italiener haben da ein Sprichwort«, erklärte sie mir. »Es heißt ›Al cuore non si comanda‹, das bedeutet, dem Herzen befiehlt man nicht. Ich konnte einfach nicht anders, auch wenn ich wusste, dass ich Rüdiger sehr wehtat.«
    Marcello war nach Deutschland gekommen, um seinem Onkel zu helfen, und Irene wusste von Anfang an, dass er nicht bleiben würde. Er hatte sein Abitur in der Tasche und plante für das folgende Jahr ein Studium der Agrarwissenschaft. Das junge Mädchen aber verschloss die Augen vor der Realität. Wenn er sie genug liebte, würde er schon bleiben, dachte sie, oder sie würde eben nach Italien ziehen. Doch es kam anders. Genau an dem Tag, an dem Irene Marcello von ihrer Schwangerschaft erzählen wollte, erklärte er ihr, er müsse sofort heim nach Apulien fahren. Seine Familie stecke in Schwierigkeiten, und es sei eine Frage der Ehre, dass er ihr zu Hilfe eile.
    Eine Frage der Ehre?, fragte sich Irene und dachte: Gehört der etwa zur Mafia?
    Marcello wunderte sich wohl über ihre kühle Reaktion. Er war die Temperamentsausbrüche der Mädchen seiner Heimat gewohnt. Die brachen in Tränen aus, stampften mit den Füßen auf, drohten mit Selbstmord oder auch mit Mord. Die rauften sich die Haare und zerkratzten dem Geliebten das Gesicht. Ah, sì ! Die hatten Feuer in den Augen und schnell ein scharfes Messer zur Hand.
    Nicht so seine schöne deutsche Freundin. »Wenn du fahren musst, dann fahr«, sagte sie ruhig, wandte sich ab und ging ohne einen Gruß davon.
    »Er hat bestimmt gedacht, ich liebe ihn nicht genug«, erzählte mir Irene. »Aber in meiner Familie ist es nicht üblich, seine Gefühle offen zu zeigen. Ich wusste einfach nicht, was ich tun oder sagen sollte.«
    Konnte ich nachvollziehen. In der Lüneburger Heide machte man keine Szenen. Man litt still und ging zum Weinen vor die Tür. Nur im absoluten Notfall griff man zur Heugabel. Irene beschrieb mir ihr Elternhaus in Salzhausen. Vater und Mutter, Bauern von altem Schlag, drei jüngere Geschwister. Die Mutter zudem seit Langem leidend. Zu ihr konnte Irene mit ihrem Problem nicht gehen. Sie musste allein klarkommen. An eine Abtreibung dachte sie keine Sekunde lang. Sie war christlich erzogen worden und hatte tiefen Respekt vor dem Leben, das da in ihrem Bauch heranwuchs.
    Herzlichen Dank, dachte ich. War doch ziemlich froh darüber, dass sie mich am Leben gelassen hatte.
    »Ich bin dann für eine Weile nach Hamburg zu einer Freundin gezogen, und dort habe ich bald den Plan gefasst, dich zu den Lüttjens’ zu bringen.«
    Die Geburt fand anonym in einer Hamburger Klinik statt. Irene zögerte. Ich sah, wie sie mit sich kämpfte, aber schließlich sprach sie weiter: »Als ich dich zum ersten Mal im Arm hielt, wollte ich dich behalten. Du warst so süß. Ganz die Tochter deines Vaters. Dunkelhaarig und mit diesen Augen, in denen ich mich verloren hatte.«
    Wärme durchflutete mich. Sie hatte mich geliebt. So wie es sich für eine Mutter gehörte.
    »Ich musste schwer mit mir kämpfen. Aber meine Freundin hat mir klargemacht, dass ich dich weggeben musste. Und zwar so schnell wie möglich. Bevor die Bindung zu stark wurde. Du warst eine Woche alt, als wir nach Nordergellersen gefahren sind.«
    Sie beschrieb mir, wie sie mich weinend vor die Tür der Lüttjens’ gelegt hatte.
    »Dann habe ich hinter dem Hoftor gewartet, bis Hermann Lüttjens dich hineingeholt hatte.«
    Irene stieß einen tiefen, jahrzehntealten Seufzer aus. »Meine Freundin

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