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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Durcheinander. Die meisten Kommentatoren stimmten darin überein, dass die Mafia auf keinen Fall eine einzelne kriminelle Organisation sein könne. Dies sei völlig absurd. Doch während man sich weitgehend darauf einigen konnte, was die Mafia nicht war, stand jeder italienische Leser, der wissen wollte, was die Mafia nun tatsächlich war, vor einem Rätsel.
    Das schlechteste Buch zum Thema war zugleich eines der bekanntesten. Sein Autor war Napoleone Colajanni, ein aufwieglerischer republikanischer Parlamentarier aus Zentralsizilien, der den Skandal an der Banca Romana im Jahre 1892 als Erster aufgedeckt hatte. Colajanni erklärte, die Mafia sei ein »besonderer moralischer Charakterzug«, ein Überbleibsel aus der Feudalzeit, das im sizilianischen Wesen begründet liege. Die verstreuten Banden, die von Zeit zu Zeit in sizilianischen Dörfern ihr Unwesen trieben, seien nur oberflächliche Symptome dieser archaischen Mentalität. Ein Faktor sei hier vermutlich die arabische Invasion im frühen Mittelalter. Armut und fehlende Bildung seien die Ursache, meistens zumindest. Obwohl es zuweilen auch reiche und gebildete Mafiosi gebe. Und Politiker. Und Aristokraten. Doch wie dem auch sei, überlegte Colajanni, die Mafia verfolge nicht immer nur üble Absichten.
    »Gelegentlich, und dies ist in der Tat nicht selten, setzt sie sich auch für die gute, gerechte Sache ein. Allerdings sind die Methoden, die sie zur Anwendung bringt, unmoralisch und kriminell – besonders wenn ihre Aktionen schwere Verbrechen beinhalten. Wer behauptet, alle Mafiosi seien Drückeberger, die ein leichtes Leben führten, basierend auf Gewalt, Betrug und Einschüchterung, der irrt. Oftmals verzichtet ein Mafioso, um seinen Status beizubehalten und glaubhaft nach außen zu vertreten, absichtlich auf seinen Reichtum und wählt die Armut.«
    Die hoffnungslos von Desinformation bestimmte öffentliche Debatte über den Notarbartolo-Fall wirft eine der quälendsten Fragen über die Mafia auf – eine, die über die Jahrzehnte immer quälender werden sollte, während andere kriminelle Vereinigungen in Italien ihre Macht ausweiteten, um mit der sizilianischen Mafia in Konkurrenz zu treten. Der Notarbartolo-Prozess löste in der Ära der modernen Medien- und Massenpolitik den ersten Skandal um das organisierte Verbrechen aus. Die große Mehrheit der Italiener wollte nichts wissen von Mord und Korruption, die das Wort »Mafia« – was immer es bedeuten mochte – beschwor. Warum zerfiel die Mafia dann nicht wie ein Vampir zu Staub, als sie von den Strahlen der Medienmorgensonne getroffen wurde?
    Die Verwirrung, die von Büchern wie demjenigen Colajannis ausgelöst wurde, trug viel dazu bei. Und obwohl Colajanni nicht zur Mafia gehörte, hatte die Ehrenwerte Gesellschaft auch eigene Ideologen – Anwälte und bezahlte Schreiberlinge, die erpicht darauf waren, Irrtümer über das »Mafiawesen« und die sizilianische Mentalität zu verbreiten. Ihre Ansichten wurden von einer der wichtigsten Zeitungen Siziliens eifrig aufgegriffen,
L’Ora
, die von keinem Geringeren gegründet, herausgegeben und kontrolliert wurde als Ignazio Florio.
    Der Einfluss der Mafia auf die Presse konnte auch grausam direkt sein. Am Tag, nachdem der Mailänder Prozess eingestellt worden war, beklagte der Vorsitzende der sizilianischen Pressevereinigung sich in einem Schreiben an Premierminister General Pelloux, dass er zweimal bedroht und von Palizzolo-Anhängern zu einem Duell herausgefordert worden sei. »Furchtsame Journalisten schweigen, und die aufrechten haben Angst«, warnte er.
    Doch es ist der politische Hintergrund der Affäre Notarbartolo, der erklärt, warum die Aufmerksamkeit der Medien die Mafia bei weitem nicht so stark tangierte, wie man es hätte erwarten können. Die neue Presse zu Beginn des 20 . Jahrhunderts war in Italien ideologisch gespalten, und in ihrer Zerrissenheit spiegelte sich eine zerrissene Nation.
    Der Fall Notarbartolo hatte unter den Sozialisten seine stärksten Befürworter. Die meisten Sozialisten im ländlichen Sizilien waren eingefleischte Feinde der Mafiosi. In den 1890 er Jahren hatte die Mafia mit allen Mitteln der Kunst – Korruption, Unterwanderung und Gewalt – neue Arbeiterorganisationen zu verhindern versucht, die ihre Mitglieder bei den Kleinbauern rekrutierten. Was Wunder, dass Leopoldo Notarbartolo, obwohl er der Rechten angehörte wie sein Vater, einen äußerst kompetenten sozialistischen Anwalt beschäftigte.
    Doch andere

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