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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Cuocolo-Morde: Motiv, Planung und Ausführung. Doch seine Aussage war noch in anderer Hinsicht von Bedeutung. Es hatte nie zuvor einen Zeugen wie ihn gegeben. Natürlich hatten schon viele Ganoven bei den Behörden ausgesagt, griff man in vielen Gerichtsverfahren auf Beweismittel aus dem Inneren der sizilianischen Mafia, der neapolitanischen Camorra und der kalabrischen
Picciotteria
zurück. Doch vor Gennaro Abbatemaggio war noch nie jemand vor Gericht erschienen, um eine ganze Bande zu denunzieren. Vor ihm hatte noch kein bekennender Ganove sein eigenes Dasein und Seelenleben zum Gegenstand öffentlicher Faszination und forensischer Forschung gemacht. Gennaro Abbatemaggio wurde die größte der vielen Berühmtheiten, die der Cuocolo-Fall hervorbrachte.
    Abbatemaggio erklärte den Carabinieri, dass das Mordopfer, Gennaro Cuocolo, zunächst den Zorn der Camorra erregt habe, weil er ihre heiligste Regel gebrochen und sich an die Behörden gewandt habe. Cuocolo hatte gegen die Omertà verstoßen, nachdem er einen gewissen Luigi Arena mit einem Diebstahl beauftragt hatte. Um die gesamte Beute für sich behalten zu können, hatte Cuocolo seinen Komplizen an die Polizei verraten.
    Der glücklose Dieb Arena wurde daraufhin in eine Strafkolonie auf der Insel Lampedusa verbannt, zwischen Sizilien und der nordafrikanischen Küste gelegen. Von dort aus schrieb er, zu Recht vor Wut schäumend, zwei Briefe an einen ranghohen Camorrista, in denen er Gerechtigkeit forderte.
    Das Anliegen des Diebs wurde bei einem Tribunal der Camorra erörtert, einem Treffen der gesamten Anführerschaft der Ehrenwerten Gesellschaft, das Ende Mai 1906 in einer Trattoria in Bagnoli stattfand. Das Tribunal verurteilte Cuocolo zum Tode und entschied, dass auch seine Ehefrau, zumal sie viele seiner Geheimnisse kannte, sterben musste. Erricone, der Boss des Vicaria-Viertels und maßgeblichste Camorrista der Stadt, übernahm die Aufgabe, die Hinrichtungen zu organisieren. Er beauftragte sechs Killer, auf zwei Teams verteilt, die Cuocolo und seine Frau um die Ecke bringen sollten. Er arrangierte außerdem das Aale-Essen in Torre del Greco, damit er die grausige Tat im Auge behalten konnte.
    Dies zumindest behauptete Abbatemaggio und fügte hinzu, er wisse dies alles, weil er für Erricone bei der Vorbereitung der Cuocolo-Morde als Bote fungiert habe. Er sei außerdem dabei gewesen, als die Killer ihrem Boss ausführlich Rechenschaft ablegen mussten zu den Morden, und auch als der Schmuck unter den Camorristi aufgeteilt worden sei, den diese aus Maria Cutinellis blutbespritztem Schlafzimmer gestohlen hätten.
    Es gab eine Nebenhandlung zu Abbatemaggios Schilderung, eine Nebenhandlung, die von all seinen Behauptungen am lautesten in Zweifel gezogen werden sollte: Gennaro Cuocolo, sagte er, habe stets einen Ring mit seinen Initialen am kleinen Finger getragen. Cuocolos Killer hätten ihm das Schmuckstück vermutlich von der toten Hand gezogen, um es in die Strafkolonie auf Lampedusa zu schicken, als Beweis, dass die Camorra Gerechtigkeit geübt hatte. Doch einer der Killer, so Abbatemaggio, habe die Befehle missachtet und den Ring behalten. Viele Monate später, als die Carabinieri Abbatemaggios Hinweis nachgingen und die Wohnung des Killers durchsuchten, schlitzten sie seine Matratze auf, und heraus fiel ein kleiner Ring mit den Initialen ›G. C‹. Der Fund bestätigte die Zeugenaussage des Spitzels.
    Mit Abbatemaggios Hilfe konnten die Carabinieri eine schlichte Morduntersuchung in einen Frontalangriff auf die gesamte Ehrenwerte Gesellschaft verwandeln. Eine gewaltige Treibjagd auf Camorristi war die Folge. Die Menschen in Neapel klatschten vom Spielfeldrand aus Beifall.
    Doch nachdem die Carabinieri Abbatemaggios Zeugenaussage den Ermittlungsrichtern vorgelegt hatten, denen die Aufgabe zukam, die Strafverfolgung vorzubereiten und einzuschätzen, ehe der Fall vor Gericht verhandelt werden konnte, kamen Zweifel auf an den Beweisen gegen Erricone und seine Killer. Die Carabinieri hatten offensichtlich die Prozessordnung übergangen. Besonders regelwidrig wirkte die Durchsuchung, die zur Entdeckung von Cuocolos Ring geführt hatte. Und das vermeintliche Hauptmotiv für die Morde in Abbatemaggios Aussage wurde in Zweifel gezogen, als sich herausstellte, dass Gennaro Cuocolo nicht die geringste Schuld traf an der Verbannung des Diebs Luigi Arena in die Strafkolonie auf Lampedusa. Warum sollte Arena an die Camorra schreiben, um Rache gegen Cuocolo zu fordern,

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