Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
der doch nichts Falsches getan hatte?
Für die Carabinieri, die die Strafverfolgung vorantrieben, gab es auch Ärger aus den eigenen Reihen. Ein Beamter bekam Wind von der wahren Geschichte um Cuocolos Ring. Wie sich herausstellte, hatte der Informant Abbatemaggio den Schmuck selbst gekauft und die Initialen G. C. eingravieren lassen. Die Carabinieri hatten ihn dann in der Wohnung deponiert, wo sie ihn ihrem Lieblings-Camorrista zufolge finden sollten. Es war der sogenannte »Ring-Trick«, wie ihn die Sympathisanten der Angeklagten nennen würden.
Der Carabiniere, der den Ring-Trick entlarvt hatte, drohte damit, ihn an die Presse zu verraten. Sofort wurde er in eine Zwangsjacke gesteckt und auf Befehl seines Kommandanten in ein Irrenhaus verfrachtet. Der Ärmste konnte jedoch bald beweisen, dass sein Verstand völlig intakt war, woraufhin ein mitfühlender Richter seine Freilassung anordnete. Nachdem seinem Pensionspolster eine gemütliche Füllung verabreicht worden war, beschloss er, den Ring-Trick für sich zu behalten. Vorzeitiger Ruhestand wegen gesundheitlicher Probleme, lautete die offizielle Version.
Die Polizei in Neapel, fuchsteufelswild, weil sie von den Carabinieri aus dem Fall geboxt worden war, nahm ihre Ermittlungen wieder auf, schlug dabei jedoch einen völlig anderen Weg ein: Für sie stand fest, dass das Ehepaar Cuocolo von zwei Dieben ermordet worden war, die Gennaro Cuocolo um einige Regierungsanleihen betrogen hatte, die sie bei einem früheren Einbruch gestohlen hatten.
Doch auch die Theorie der Polizei wies eine gewaltige Schwachstelle auf: Sie basierte größtenteils auf der Aussage eines gewissen Don Ciro Vittozzi, eines übergewichtigen Pfarrers, der für eines von Erricones Kindern die Patenschaft übernommen hatte; Don Ciro war vorbestraft, weil er Camorristi dabei geholfen hatte, sich ihrer Strafe zu entziehen. Und so beschuldigten die Carabinieri die Polizei, auf das Geflunkere der Camorra hereingefallen zu sein. Die Geschichte mit den Regierungsanleihen, sagten sie, sei von der Camorra erfunden worden, um die wahren Schuldigen zu decken. Die Carabinieri gaben sogar eine Anzeige gegen zwei Polizeibeamte auf wegen Beweisfälschung. Sie gingen schließlich noch weiter, indem sie die von der Polizei beschuldigten Diebe dazu drängten, ihre Kläger zu verklagen. So wurde der ohnehin komplizierte Fall noch verzwickter.
Obwohl Abbatemaggios Betreuer sich wacker bemühten, stand seine Geschichte doch auf recht wackeligen Beinen. Also veränderte er sie. Ein Jahr nach seiner anfänglichen Aussage erzählte er eine neue, verbesserte Version. Diesmal war die Schlüsselfigur in seiner Geschichte ein gewisser Giovanni Rapi, in Camorrakreisen bekannt als
»il professore Rapi«
, »der Lehrer«, weil er in jungen Jahren an örtlichen Schulen gearbeitet hatte. Er war auch Champagnerhändler in Frankreich gewesen. Jetzt, mit Mitte fünfzig, war »der Lehrer« Erricones
contaiuolo
, sein Buchhalter; er führte außerdem einen renommierten Club und eine Spielhölle. Abbatemaggio zufolge betrieb der »Lehrer« nebenbei noch Hehlerei. In anderen Worten, er war im selben Geschäft wie das Mordopfer Gennaro Cuocolo und somit dessen Konkurrent. Aufgrund dieser Rivalität und weil Cuocolo ihn erpresste, hatte der »Lehrer« Erricone gebeten, Cuocolo und seine Frau um die Ecke zu bringen.
Angesichts dieser neuen Version stellte sich freilich die Frage, warum Abbatemaggio den »Lehrer« nicht schon eher beschuldigt hatte, obwohl Letzterer einer der fünf Männer gewesen war, die bekanntermaßen am Abend der Morde im Mimì a Mare Aal verspeist hatten. Abbatemaggio erklärte, er habe sich aus zweierlei Gründen zurückgehalten: Zum einen habe er befürchtet, dass niemand einen scheinbar so untadeligen Mann wie den »Lehrer« einer so grausigen Tat für fähig halten könnte; zum zweiten sei es ihm schwergefallen, den »Lehrer« anzuzeigen und dadurch sich selbst mit einigen Diebstählen in Verbindung zu bringen, die er auf dessen Geheiß begangen habe. Abbatemaggio gestand ordnungsgemäß die fraglichen Diebstähle und wurde verhaftet.
Die Zahl der Unwägbarkeiten im Mordfall Cuocolo stieg ins Unermessliche.
Ein Großteil der Beweismittel für den Cuocolo-Prozess wurde bereits publik gemacht, während der Fall noch seine langatmige Vorbereitungsphase durchlief. (Dies ist in Italien noch immer die Norm.) Somit verfolgte die Öffentlichkeit den Ablauf der Geschichte genau, und die Zeitungen vertraten bald
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