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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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den gefügigen Sklaven auf Sizilien, endgültig ausmerzen könnte. Damit wäre gleichsam der Kopf vom Rumpfe getrennt, und man hätte die Auflösung beider Gehirne erreicht, jenes der
Black Hand
in Amerika und jenes der Mafia auf Sizilien.«
    In aller Welt wurden die Erwartungen an die Cuocolo-Affäre ebenso drängend wie unrealistisch.
    Die jüngste Geschichtsforschung kommt zu weniger panischen Schlussfolgerungen als Walter Littlefield. Camorristi aus Neapel und Umgebung waren zum Zeitpunkt von Erricones Amerika-Aufenthalt gewiss auch in den USA aktiv, und einige von ihnen hatten in Brooklyn neben den dominierenden sizilianischen Banden sogar autonome Gruppierungen gegründet. Erricones Buchhalter, der »Lehrer«, hatte offenbar Verbindungen zu einer Sparkasse in New York, die das Geld von Einwanderern sammelte und in die Heimat schickte. Nachdem Erricone ausgeliefert worden war, suchten New Yorker Camorristi italienische Restaurantbetreiber auf, um Geld für seine Anwälte zu sammeln.
    Unterdessen verbrachte der Mann im Zentrum des bevorstehenden Cuocolo-Prozesses, der Spitzel Gennaro Abbatemaggio, seine Zeit in Untersuchungshaft und las in Fortsetzungen Joe Petrosinos Lebensgeschichte.
     
    Während die Vorbereitungen für den Cuocolo-Prozess nur schleppend vorangingen, ereignete sich am 28 . Dezember 1908 , kurz nach 5 . 20  Uhr, ein massives Erdbeben, dessen Epizentrum in der schmalen Meerenge zwischen Sizilien und Kalabrien lag, und verwüstete Messina, Reggio Calabria und viele Städte und Dörfer des Aspromonte. Etwa 80 000  Menschen kamen ums Leben; viele der traumatisierten Überlebenden emigrierten in die Neue Welt. Diese Katastrophe, das tödlichste Beben in der Geschichte des Westens, erregte wochenlang das Mitleid der ganzen Welt.
    Als die Medien sich schließlich anderen Themen zuwandten, begann die freudlose, traurige Geschichte des Wiederaufbaus. Die Menschen in den betroffenen Landstrichen Kalabriens, schon vor der Katastrophe ein träges Volk, wurden nun noch träger. In Reggio Calabria dauerte der Wiederaufbau der Präfektur elf Jahre, und sechs weitere verstrichen, bis der Justizpalast, in dem sich die Gerichtssäle befanden, neu errichtet war. Der langwierige Kampf um staatliche Zuschüsse für den Wiederaufbau wurde zum neuen Schwerpunkt des politischen und wirtschaftlichen Lebens in weiten Teilen des Katastrophengebiets. Die
Picciotteria
forderte einen Anteil an der Beute. In Reggio Calabria wurden in denselben Kaschemmen, in denen die Maurer sich trafen, Ganoven gesichtet: Die vielen Arbeiter boten ihnen reichlich Gelegenheit, von Glücksspielen, Erpressung, Raub und Prostitution zu profitieren. 1913 sollte die Polizei 83  Mitglieder einer kriminellen Bande schnappen, die hierarchisch strukturiert war –
picciotto
, Camorrista, Buchhalter und
fiorillo
, »Blümchen« – und in der gesamten Stadt ihr Unwesen trieb. Doch war dieser Erfolg natürlich nur für die Lokalpresse interessant, wie andere Gerichtsverfahren zu Beginn des 20 . Jahrhunderts, die zeigten, dass sich die
Picciotteria
nach Norden ausbreitete, in die übrigen Provinzen Kalabriens. Von all den Menschen, die erlebten, wie die
Picciotteria
vor dem Ersten Weltkrieg in aller Ruhe in der kalabrischen Gesellschaft Fuß fassen konnte, haben uns nur sehr wenige eine Art Zeugnis hinterlassen. Einer von ihnen ist der in San Luca geborene Schriftsteller Corrado Alvaro. 1955 fischte er eine lebhafte Jugenderinnerung aus dem Gedächtnis, die deutlich macht, wie die
Picciotteria
– kaum eine Generation nach ihrer Entstehung – zu dem werden konnte, was er als einen »Aspekt der herrschenden Klasse« bezeichnete, zu einem normalen, allseits akzeptierten Teil des gesellschaftlichen Lebens. Eines Tages war Alvaro nach einem Schuljahr am fernen Gymnasium heimgekehrt nach San Luca, das von den schlimmsten Auswirkungen des Erdbebens von 1908 verschont geblieben war. Seine Mutter erzählte ihm beiläufig, dass sein Vater sich im oberen Stockwerk mit »Männern der Vereinigung« unterhalte. Alvaro mit seinen angelesenen Vorstellungen von Gemeinschaftsgeist, dachte sofort an eine Gruppe, die sich für lokale Interessen starkmache. »Dann gibt es also endlich eine Vereinigung in unserem Dorf?« Seine Mutter erwiderte tonlos: »Es ist die Verbrechervereinigung.«
    Gennaro Abbatemaggio: Genialoid
    Endlich begann im März 1911 der Cuocolo-Prozess in der grottenartigen Barockkirche, die in der Stadt Viterbo, zwischen Rom und Florenz gelegen, als

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