Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
amerikanischen Zuschauern im Prozess. Er stellte fest, dass die Camorristi von allen Anwesenden im Gerichtssaal bei weitem am besten gekleidet waren.
    »Bei genauerer Betrachtung jedoch erkennt man die gnadenlosen Schnittnarben in den meisten Gesichtern und die katzenhafte Rastlosigkeit der Augen. Vor allem ein Eindruck bleibt – jener der Selbstgewissheit, Intelligenz und Gerissenheit dieser Männer, und man ahnt die Gefahr, die sie für eine Gesellschaft darstellen, in der sie und ihre Gefolgsleute das Verbrechen als Profession betreiben.«
    Eine besonders elegante Erscheinung war der »Kuhhirte«, jener »ultramoderne Camorrista«, dessen erotische Beutezüge unter den Damen der Aristokratie den Herzog von Aosta angeblich so in Rage versetzt hatten. Auch er versuchte sich als ehrbarer Geschäftsmann auszugeben, der mit dem Verkauf von Kleie und Johannisbrot angefangen und es schließlich zum erfolgreichen Juwelier gebracht hatte. Eine launische Verkettung ungünstiger Umstände habe dazu geführt, behauptete er, dass er einige kürzere Haftstrafen zu verbüßen hatte, wegen Erpressung, Diebstahls und Beteiligung an einer Schießerei. Das kultivierte Äußere des »Kuhhirten« wurde von zwei langen Narben auf der Wange beeinträchtigt. »Fechtwunden«, beteuerte er und gab zumindest einen aufschlussreichen Hinweis zu dem berüchtigten Ring, in den Gennaro Cuocolos Initialen graviert waren: Er demonstrierte dem Gericht, dass dieser nicht einmal groß genug war, um auf
seinen
kleinen Finger zu passen – und er war schließlich ein ganzes Stück kleiner als Cuocolo.
    Der
sfregio
, ein entstellender Schmiss, war eines von vielen sichtbaren Zeichen der Camorra-Macht in Neapel. Camorristi versetzten einander und auch den Prostituierten, deren Zuhälter sie waren,
sfregi
. Sizilianische Mafiosi dagegen verzichteten sowohl auf die Zuhälterei als auch auf den
sfregio
.
    Wenige der Beschuldigten hatten lückenlose Alibis. Manche bestritten, Abbatemaggio zu kennen, was jedoch von anderen Zeugen glaubhaft widerlegt wurde. Einer der Camorristi kam auf die glorreiche Idee, seine Aussage in Form einer gedruckten Broschüre zu machen. Darin räumte er zwar ein, dass die Camorra existierte, behauptete aber, sie sei eine Vereinigung hochgesinnter Personen, die sich für die Belange der Schwachen starkmache. Das hehre Ethos der Vereinigung bestünde in der sogenannten
cavalleria rusticana
, der »bäuerlichen Ritterlichkeit«. Offenbar nahm der Angeklagte sich ein Beispiel an der erfolgreichen Strategie der sizilianischen Mafia bei vorausgehenden Prozessen, denn er zitierte zudem die Geschichte der Camorra und schloss seine Aussage mit patriotischem Pathos, indem er die Zeit der Einigung Italiens vor einem halben Jahrhundert beschwor, als Camorristi die bourbonische Tyrannei bekämpft und zur »politischen Befreiung Süditaliens« beigetragen hätten.
    Der Richter in Viterbo wurde heftig kritisiert, weil er den Angeklagten gestattete, Zeugen selbst ins Kreuzverhör zu nehmen. Ein solcher Schlagabtausch, hieß es, ziehe das Verfahren unnötig in die Länge und ende zuweilen in lautstarkem Gezänk. Einer der Camorristi, ein furchteinflößendes, einäugiges Scheusal, das im Verdacht stand, Gennaro Cuocolo mit einem Knüppel den Schädel eingeschlagen zu haben, kreischte lebhafte Beleidigungen gegen Abbatemaggio quer durch den Saal.
    »Du verräterisches Schwein! Du hast dich nur verkauft, damit du im Knast feine Makkaroni essen kannst. Aber du wirst am Mozzarella ersticken. Wirst schon sehen, du Lügner!
    Halt die Schnauze, du Laus! Kinderschänder, du! Ich würde dir ins Gesicht spucken, wenn ich nicht Angst hätte, mir die Spucke zu besudeln.«
    Abbatemaggio plagten derlei Bedenken nicht, er spuckte quer durch den Saal in den Käfig der Angeklagten.
     
    Eine Woche um die andere verstrich mit Zeugenaussagen, wütenden Kreuzverhören und Raufereien. Und als der Frühling in den Sommer überging, erlahmte das öffentliche Interesse. Doch im Juli und August 1911 flammte es wieder auf, denn die beiden großen Helden des Cuocolo-Prozesses traten in den Zeugenstand: Feldwebel Erminio Capezzuti und Hauptmann Carlo Fabroni. Es waren die Carabinieri, die es schließlich geschafft hatten, »zu den schwarzen Eingeweiden der kriminellen Hydra vorzudringen, und sich nun anschicken, im Gerichtssaal in Viterbo das faulige Giftgeschwür offenzulegen«, berichtete die
New York Times
.
    Feldwebel Capezzuti war Abbatemaggios Betreuer: Er hatte den

Weitere Kostenlose Bücher