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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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aufzubauen, die in Italien zur Welt gekommen waren. Am 12 . März 1909 stand er unter der Garibaldi-Statue auf der Piazza Marina in Palermo, als er von zwei Männern erschossen wurde. Er hinterließ seine Frau Adelina und eine Tochter desselben Namens, die erst vier Monate alt war.
    Niemand würde für den Mord an Petrosino zur Rechenschaft gezogen werden. Es gab viele Ermittlungsstränge. Der erste, und plausibelste von allen, führte zu einer Bande Sizilianer, deren Fälscheraktivitäten Petrosino im Jahre 1903 aufgedeckt hatte, als er das berüchtigte Rätsel der »Leiche im Fass« zu lösen suchte – die fragliche Leiche war ein Opfer der Mafiosi. 1905 schloss sich der Bande, die vermutlich für die »Leiche im Fass« verantwortlich war, ein Mafioso und Zitronenhändler namens Giuseppe Fontana an – derselbe Giuseppe Fontana, der im Jahr zuvor wegen des Mordes an dem Bankier Emanuele Notarbartolo vor Gericht gestanden hatte und empörenderweise freigesprochen worden war. ( 1913 sollte Fontana in East Harlem erschossen werden.)
    Der mutmaßliche Mörder Lieutenant Petrosinos war Don Vito Cascio-Ferro, ein Ehrenmann, der zu Beginn des 20 . Jahrhunderts mehrmals den Atlantik überquert hatte. Cascio-Ferro stand nie unter Anklage, weil er ein scheinbar wasserdichtes Alibi hatte: Ein sizilianischer Abgeordneter hatte angegeben, Cascio-Ferro sei bei ihm zu Besuch gewesen, als Petrosino starb. Der betreffende Abgeordnete hieß Domenico De Michele; wie der Zufall es wollte, war er der Sohn des »Barons« Pietro De Michele – jenes Vergewaltigers und Mafiabosses aus Burgio, der 1877 in das »Brudermord«-Komplott gegen Ermanno Sangiorgi verwickelt gewesen war.
    Im Zuge ihrer langwierigen Ermittlungen im Mordfall Petrosino befragte die italienische Polizei auch einen Gangster aus Kalabrien, Antonio Musolino. Er war der jüngere Bruder des »Königs des Aspromonte«, und sein Cousin stand im Verdacht, Lieutenant Petrosino auftragsgemäß getötet zu haben. Mit erstaunlicher Offenheit erklärte Antonio Musolino, er sei 1906 aus Santo Stefano geflüchtet, weil zu befürchten stand, dass die vielen Feinde seiner Familie versuchen würden, ihn umzubringen. In Brooklyn hatte er sich mit einstigen Anhängern seines Bruders zusammengetan, unter anderem mit dem Cousin, der im Verdacht stand, Petrosino erschossen zu haben. In einem Kellerraum in der Elizabeth Street, dem Epizentrum der italienischen Gemeinde in Manhattan, wurde Musolino in eine Mafiagang aufgenommen, die sowohl Kalabresen als auch Sizilianer umfasste. Sein Name für die Gang war
Black Hand
, Schwarze Hand – ein Sammelbegriff für das italienische Gangstertum in Amerika, der den bedrohlichen Symbolen geschuldet war (blutige Dolche, schwarze Hände und dergleichen), die bisweilen die Erpresserbriefe der Mafiosi zierten.
    Musolinos kurze Geschichte ist typisch für die Art und Weise, wie die
picciotti
, die vom Aspromonte nach New York reisten, in einer weitaus mächtigeren, gut etablierten sizilianischen Organisation aufgingen: Die ärmlichen
picciotti
gerieten unter den Einfluss der »Mittelschicht-Verbrecher«. Wo die Sizilianer nicht so stark vertreten waren, beispielsweise in der Mondlandschaft der Bergbaubezirke in Pennsylvania und Ohio, konnten die Kalabresen, die nach Amerika geholt worden waren, um Kohle abzubauen, sich selbst organisieren und die Methoden und Traditionen zum Einsatz bringen, die sie zu Hause gelernt hatten.
     
    Erricones kurzer Abstecher nach New York gab den Anstoß zu einer dritten Theorie über den Mord an Lieutenant Joe Petrosino und brachte die Camorra ins Spiel: Erricone geriet nun selbst unter Verdacht. Nach der Ermordung Petrosinos stieg das Interesse am Cuocolo-Fall in den Vereinigten Staaten gewaltig. Die umfassenden Ermittlungen in Neapel schienen auf eine weitaus mächtigere Organisation zu verweisen, als selbst die beunruhigendsten Spekulationen über die
Black Hand
in den USA es erahnen ließen. In der
New York Times
behauptete der Journalist Walter Littlefield kühn, Erricone habe den Befehl gegeben, Petrosino zu töten, und die Ehrenwerte Gesellschaft, die er leite, sei die Dachorganisation aller italienisch-amerikanischen Verbrecher zu beiden Seiten des Atlantiks.
    »Es ist die törichte Hoffnung eines modernen, zivilisierten italienischen Staates, dass der Gerichtsprozess die größte und am perfektesten organisierte Verbrecherorganisation der ganzen Welt, mitsamt ihren einträglichen Verbindungen nach Amerika und

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