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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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und das hitzige Temperament seiner Landsleute teilt«. Nüchterner und nicht minder verurteilend fiel der Kommentar des
Bulawayo Chronicle
im heutigen Simbabwe aus, wo die Kinobesucher Wochenschauen aus Viterbo gesehen hatten:
    »Der Camorraprozess ist ein denkwürdiger Beweis für die Unfähigkeit und Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Strafprozessordnung in Italien.«
    Leider war nur eine kleine Minderheit von Richtern und Anwälten bereit, aus den Lektionen zu lernen, die das Cuocolo-Verfahren bereithielt: über Italiens schwammige Gesetze gegen kriminelle Vereinigungen; über die unselige, qualvoll langsame und eigentümlich italienische Vermählung zwischen Ermittlungsgericht und kontradiktorischem Verfahren.
    Die wichtigsten Lektionen ließen sich aus der Geschichte Gennaro Abbatemaggios ziehen. Selbst seine Behandlung durch die Carabinieri war aus gesetzlicher Sicht eine Schande: Nach seinem ersten Gespräch mit den Carabinieri verbrachte er viele Monate in einem Versteck an einem entlegenen Ort in Kampanien, der rein zufällig auch das Heimatdorf von »Sherlock Holmes« Capezzuti war. Als Ermanno Sangiorgi im »Brudermord«-Fall der 1870 er Jahre ermittelt hatte, gab es noch keinerlei Richtlinien für den Umgang mit Abtrünnigen aus den Reihen der kriminellen Vereinigungen. Welche Art von Handel sollte das Gesetz mit ihnen abschließen als Gegenleistung zu dem, was sie wussten? Wie konnte man sichergehen, dass sie auch wirklich die Wahrheit sagten? Die italienische Gesetzgebung bot keinerlei Antworten auf diese Fragen und keinerlei Kriterien, wie man gute Polizeiarbeit von einer Kollaboration mit Kriminellen unterschied. Weil man aus dem Cuocolo-Prozess keine Konsequenzen zog, würden diese Fragen offenbleiben und den Kampf gegen das organisierte Verbrechen in Süditalien weiter behindern.
    Bemerkenswerterweise gab es nach dem Prozess in Viterbo keinerlei Meldungen mehr über die kriminellen Aktivitäten jener Geheimgesellschaft, die Neapel bereits vor der italienischen Einigung gepeinigt hatte. Irgendwie beendeten Gennaro Abbatemaggio und das juristische Ungeheuer, das zu schaffen er geholfen hatte, die Geschichte der Ehrenwerten Gesellschaft.
    Der Prozess in Viterbo gibt einige Rätsel auf. Das schwierigste von allen ist die Frage, warum ausgerechnet der Cuocolo-Fall die Wurzeln der Ehrenwerten Gesellschaft kappte, während so viele frühere Verfahren lediglich ihre Zweige beschnitten hatten.
    Eine mögliche Antwort liegt in den Beweisen, die die neapolitanische Polizei beigesteuert hatte, nachdem sie im Vorfeld des Prozesses in Viterbo keine gute Presse bekommen hatte. Sie war dank Feldwebel Capezzuti und Hauptmann Fabroni nicht nur von den Carabinieri in den Schatten gestellt, sondern zudem durch die Andeutung diskreditiert worden, dass einige Beamte mit den Camorristi unter einer Decke steckten. Die Menschen in Italien glaubten nur allzu gern, dass dieser Vorwurf berechtigt war. Schließlich war allgemein bekannt, dass die Polizei sich, wenn Wahlen bevorstanden, im Auftrag des Innenministeriums der Unterstützung durch die Camorra bediente. Außerdem hielten in Neapel wie in Palermo Polizei und Mafia gemeinsam die Kriminalität in Schach. Aus eben diesen Gründen erhielten die Zeugenaussagen der Polizisten nur sporadisch die Aufmerksamkeit der Medien.
    Doch aus denselben Gründen wusste die Polizei am besten, wie die Ehrenwerte Gesellschaft funktionierte. Außerdem hatte sie aufgrund ihrer verbitterten Rivalität mit den Carabinieri, die im Cuocolo-Prozess ihre Beweismittel vorlegten, keinerlei Interesse daran, das Lehrbuchwissen der Carabinieri über die Camorra oder Abbatemaggios Geschichte zu bestätigen. Umso glaubwürdiger wird demnach im Rückblick das Bild, das die Polizei dem Gericht in Viterbo von der Camorra unterbreitete – das Bild einer kriminellen Vereinigung, die bereits auf dem absteigenden Ast war, als Gennaro Cuocolo und seine Frau erstochen wurden.
    Nehmen wir Ludovico Simonetti, der vier Jahre als Streifenpolizist in Erricones Stadtviertel unterwegs gewesen war. Simonetti hatte keine Scheu, dem Richter in Lucca zu gestehen, dass die Polizei regelmäßig auf Informanten der Camorra zurückgriff, und bestätigte gern Erricones Führungsposition innerhalb der kriminellen Vereinigung. Doch Simonettis Aussage war dort am interessantesten, wo sie von der Linie der Staatsanwaltschaft abwich; sie hatte nichts von der idiotensicheren Unumstößlichkeit der Behauptungen Hauptmann Fabronis

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