Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Räuber und Mörder. Hier draußen war der Übergang zwischen legalen und illegalen Geschäften fließend: Diebstahl und Erpressung waren hier ebenso gültige Einnahmequellen wie die Ausbeutung der Kleinbauern.
Doch von den landwirtschaftlichen Produkten, die im neapolitanischen Hinterland erzeugt wurden, war vor allem eines in der Hand der Kriminellen:
Südlich des Flusses Garigliano, nordwestlich von Neapel, befand sich eine malariaverseuchte Wildnis, die Mazzoni-Sümpfe, üppig bewachsen, flach, grenzenlos und bedrückend still. Die übrigen Merkmale des Landstrichs waren so dürftig wie seltsam: ein einzelner Wasserlauf, der sich zwischen Pappelreihen hindurchwand; eine Sandstraße, weiß wie eine Narbe, die eine schnurgerade Spur bis an den Horizont zog. Kein Mensch war hier unterwegs außer vereinzelten Viehhirten: Sie legten beim Galopp ihre Bäuche flach auf die bloßen Pferderücken, als seien sie vor einem Stallbrand auf der Flucht und hätten vergessen anzuhalten. Hin und wieder legte sich der Staub, den sie aufwirbelten, auf eine Brücke über einen von Unkraut überwucherten Graben. Ein Tor, zwischen zwei Pfosten gestemmt, kennzeichnete den Eingang zu einer
difesa
, wie man vor Ort sagte – wörtlich übersetzt »Verteidigung, Schutz« –, einer Art morastigem Gehöft. Hinter Steineichen und Schilfdickicht befanden sich die Büffel: Schwarz, kurzhaarig und massig standen sie im schlammigen Wasser und glotzten finster durch die flirrende Luft ins Leere. Das Zentrum eines jeden Geheges bildete eine mit Binsen gedeckte, weiß getünchte einstöckige Scheune. Im Innern, wo der würzige Geruch nach Büffelmilch in der Luft lag, formten die Hirten mit den Händen Bälle aus Mozzarellakäse und ließen sie in Lakebottiche fallen, bereit für die Fahrt zum Markt in Santa Maria Capua Vetere.
Fahl und verdrossen vom Fieber arbeiteten die Hirten zu mehreren in den
difese
, wobei sie kaum besser lebten als ihre Tiere. Ihre Frauen bekamen sie oft Wochen oder gar Monate nicht zu Gesicht. Ihr Boss, der
minorente
, war ein derber, aber zuverlässiger Unternehmer. In Neapel und Caserta zahlte man gutes Geld für die cremig duftenden Käse, die wie durch ein Wunder im Dreck und Gestank der Mazzoni entstanden. Der Boss pachtete seine
difesa
von einem Landeigner, der wahrscheinlich zu viel Angst hatte, um sich auch nur in die Nähe seines Besitzes zu wagen. Denn die Mazzoni gehörten zu den gesetzlosesten Landstrichen ganz Italiens, und die Büffelhirten, die den Mozzarellakäse produzierten, machten auch den meisten Ärger. 1909 beschrieb ein Agrarausschuss der Regierung die Büffelhirten in den Mazzoni als wahre Schreckgestalten. »Jahrhundertelang haben diese einheimischen Clans einander gehasst und bekämpft wie die Völker in grauer Vorzeit.«
Doch wie so oft in Italien diente die faule Ausrede von den »Urzeitmenschen« nur dazu, eine alles andere als urzeitliche Verbrecherlogik zu vertuschen. Die Gewalt war ein fester Bestandteil der Büffelmilchwirtschaft. Die Bosse schüchterten ihre Konkurrenten ein, um mit dem Grundbesitzer einen niedrigeren Pachtzins vereinbaren zu können. Die Büffelhirten kassierten Schutzgeld: Wenn ihre Drohbriefe nicht verstanden wurden, schlachteten sie Büffel, fällten Bäume und legten Brände, um ihren Standpunkt klarzumachen. Wegelagerer waren eine ständige Bedrohung für die Männer, die den Käse zum Markt fuhren und mit dem Erlös zurückkamen. Kurzum, der Mozzarellakäse war in den Mazzoni-Sümpfen, was die Zitrusfrucht in Palermos Conca d’Oro war.
Während des Cuocolo-Prozesses suchten Reporter des
Mattino
die Mazzoni auf, um sich über die »krasse Unwissenheit« und die »blutrünstigen Triebe« der Büffelhirten künstlich aufzuregen. Was sie unerwähnt ließen, war die Tatsache, dass die Camorra in den Mazzoni und im Aversa-Gebiet zwischen den Mazzoni und Neapel Teil eines politischen und wirtschaftlichen Mechanismus war, dessen Hebel der einheimische Abgeordnete Giuseppe Romano bediente, bekannt als Peppuccio. Und zufälligerweise war Peppuccio mit Edoardo Scarfoglio befreundet, dem Herausgeber des
Mattino
.
Trotz der verbindlichen Zurückhaltung von Scarfoglios Journalisten war Peppuccios Karriere besiegelt. Nicht zuletzt wegen des Staubs, den der Cuocolo-Fall aufgewirbelt hatte, war sein Ruf so beschädigt, dass er nicht einmal mehr für Premierminister Giovanni Giolitti (den »Minister der Unterwelt«) tragbar war, dem Peppuccios Unterstützung stets zupass
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