Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
politischen Machenschaften der Vergangenheit, als Heilmittel für Italiens schwächliche Zugeständnisse an das Bandenwesen. Doch der Faschismus wiederholte am Ende viele der Fehler, die bereits frühere Regierungen begangen hatten. Dieselbe kurze Aufmerksamkeitsspanne. Derselbe Verlass auf »Zwangsexile«. Dieselbe Zögerlichkeit, wenn es galt, die Beschützer der Mafia in der Oberschicht zur Rechenschaft zu ziehen. Dieselbe Unfähigkeit, das endemische Auftreten der Mafia in den Gefängnissen zu unterbinden. Politische Gefangene in den 1920 er und 1930 er Jahren erzählten
exakt
dieselben Geschichten von der Macht der Gangster hinter Gittern wie der bedauernswerte Herzog Sigismondo Castromediano und andere gefangene Patrioten des Risorgimento drei Generationen zuvor.
Worauf sich Mussolini deutlich besser verstand als seine liberalen Vorgänger, war die Propaganda, die er übermäßig aufbauschte, während er zugleich die Berichterstattung unterband. Mit ein wenig Unterstützung seitens der sizilianischen Mafia schuf er so die bleibende Illusion, dass es dem Faschismus zumindest gelungen war, den Pöbel in Schach zu halten. Die
Zonenhandbücher
, die den Alliierten Sizilien, Kalabrien und Kampanien erklären sollten, reflektieren sehr genau den jämmerlichen Kenntnisstand, den der Faschismus hinterließ. (Sie basierten schließlich auf italienischen Publikationen.)
Das Vermächtnis des Faschismus hatte in der Tat äußerst schädliche Auswirkungen. Im Chaos von Krieg und Befreiung war das Land schnell mit der Realität einer endemischen kriminellen Macht konfrontiert, die sich hinter dem tumben Propagandagetöse des Regimes versteckt hatte.
Als der Zweite Weltkrieg endete, wurde Italien zur Demokratie. Schon bald würde es sich zu einer großen Industriemacht entwickeln. Italietta, das kleine, beschauliche Italien, das nach 1860 zuerst mit den Mafias konfrontiert gewesen war, existierte nicht mehr, ebenso wenig das verblendete, großspurige Italien der Schwarzhemden. In den Jahren zwischen 1943 und 1948 vollzog sich der tiefschürfendste Wandel in der gesamten Geschichte des Landes: der Übergang vom Krieg zum Frieden, von der Diktatur zur Freiheit. Doch einige Dinge änderten sich nicht – und von dieser Kontinuität liefert die Geschichte des organisierten Verbrechens nach dem Krieg ein verstörendes Zeugnis. Dieselben politischen Laster, die schon dazu beigetragen hatten, die Mafias hervorzubringen, würden den kriminellen Organisationen in der Ära der Demokratie und des Wohlstands zu noch größerer Macht und Gewalt verhelfen. Nach 1945 traf Italiens Politikerklasse, wie sie es seit 1860 getan hatte, eine schmutzige Übereinkunft mit dem Verbrechen.
Man mag den Faschisten vieles nachsagen, doch an dieser Übereinkunft tragen sie keine Schuld. Die Zonenhandbücher enthielten bei weitem nicht das gesamte Wissen von Mussolinis Regime über die Mafias. Polizei und Justiz, die in den 1920 er und 1930 er Jahren hauptsächlich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst gewesen waren, wussten um die Gefahr der kriminellen Verbände in Kampanien, Kalabrien und Sizilien: Sie verfügten über einen Erfahrungsschatz, aus dem ein eben flügge gewordenes nachfaschistisches Italien hätte ausgiebig schöpfen können. Stattdessen wurden ihre Einsichten fast vollständig ignoriert oder verdrängt. Im Unterschied zum faschistischen Italien zögerte die junge Demokratie, den Mafias die Stirn zu bieten, und schien geradezu erpicht darauf, die Lektionen der Vergangenheit wieder zu verlernen. Kaum war der Zweite Weltkrieg überstanden, begann die Geschichte der Mafias wieder von neuem – mit einem Akt des Vergessens.
TEIL 2 Die Mafiarepublik
1 SCHWAMM DRÜBER!
Sizilien: Banditentum, Land und Politik
Das heutige Italien erblickte am 2 . und 3 . Juni 1946 das Licht der Welt, als ein kriegsgebeuteltes Volk in einem Referendum den Entschluss fasste, eine Monarchie abzuschaffen, die sich mit ihrer Unterwürfigkeit gegenüber der faschistischen Diktatur selbst diskreditiert hatte. Man vollzog einen klaren Bruch mit der Vergangenheit: Fortan wäre Italien eine Republik. In derselben Abstimmung wählten die Italiener die Mitglieder einer konstitutionellen Versammlung, die für diese Republik eine neue Verfassung entwerfen sollte, basierend auf Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Camorra, ’Ndrangheta und Cosa Nostra sind ein ungeheuerlicher Affront gegen die Gründungswerte der Italienischen
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