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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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kometenhaften Aufstieg in der amerikanischen Gangsterwelt fortzusetzen.
    Das Interessante an der Genovese-Geschichte ist – aus italienischer Sicht – der Einblick, den sie in die neu erstarkenden kriminellen Vereinigungen im neapolitanischen Hinterland gewährt. Sergeant Dickey konnte nachweisen, dass Genovese ein weitverzweigtes Schwarzmarktnetz aufgebaut hatte. Was Dickey begreiflicherweise am meisten beunruhigte, waren Genoveses Kontakte zur AMGOT . Doch der Gangster deckte auch einheimische Diebe und Schmuggler, pflegte fleißig Freundschaften in der neapolitanischen Justiz und wurde sogar vom Polizeipräsidenten in Rom protegiert. Sergeant Dickey vermutete, dass Genovese zum Teil die Stromversorgung im Gebiet um Nola kontrollierte, wodurch sämtliche Produktionsbetriebe in seiner Gewalt waren.
    Falls Genovese jedoch Kontakte zu bestehenden kriminellen Banden in Nola pflegte, lässt einiges darauf schließen, dass man sich nicht immer gewogen war. Eines der Empfehlungsschreiben von Armeeangehörigen für Genovese, datiert vom Juni 1944 , enthielt folgenden seltsamen Satz:
    »[Vito Genovese] war für mich von unschätzbarem Wert – er ist absolut ehrlich und hat uns auf mehrere Fälle von Erpressung und Schwarzhandel unter sogenannten vertrauenswürdigen Zivilpersonen hingewiesen.«
    In bewährter Mafiamanier nutzte Genovese demnach seine Kontakte zu den Behörden, um Konkurrenten auszuschalten.
    Dann wäre da noch der mysteriöse Informant, der Sergeant Dickey überhaupt erst auf Genoveses Schwarzmarktimperium aufmerksam gemacht hatte. Der fragliche Mann bleibt wahrscheinlich anonym – sein Name wurde zu seinem eigenen Schutz aus den Dokumenten gestrichen. Jedenfalls hat er Sergeant Dickey eine besonders aufregende Geschichte aufgetischt. Er sei »ein ehemaliges Mitglied der Camorra«, sagte er, und habe sich aus der Organisation herausgekauft, nachdem er eine Amerikanerin geheiratet habe. Die Camorra, setzte er seine Erklärung fort, sei das »italienische Gegenstück zur ›Unione Siciliana‹ der Vereinigten Staaten«, und Vito Genovese jetzt ihr Oberhaupt.
    Zumindest zwei Details an dieser Geschichte sind eigenartig. Erstens gab es 1944 so gut wie sicher keine Camorra, zumindest nicht im traditionellen Sinn einer Ehrenwerten Gesellschaft. Zweitens war die Camorra – selbst wenn es sie gab – keineswegs das italienische Äquivalent zur Mafia der Vereinigten Staaten. Meiner Meinung nach hat der Informant sich seine Geschichte ausgedacht, um seinem amerikanischen Gesprächspartner nach dem Munde zu reden. Wenn dem tatsächlich so war, können wir nur mutmaßen, was ihn dazu bewog. Doch wäre es keine Überraschung, wenn er sich als Komplize eines einheimischen Rivalen Genoveses erweisen würde. Vielleicht wurde der mutige Sergeant Dickey von Ganoven aus Nola oder den Mazzoni-Sümpfen auf Genoveses Spur gelockt, die den amerikanischen Kuckuck nur allzu gern aus ihrem kampanischen Nest geworfen hätten. Wenn die faschistische Unterdrückung nur noch eine blasse Erinnerung und Vito Genovese aus dem Weg wäre, könnten die Banden des neapolitanischen Hinterlands ihre Aktivitäten wieder aufnehmen.
    Unterdessen veränderte in den Baracken des Stadtzentrums ein Schmuggelparadies die Grundregeln städtischen Lebens. In jedem kleinen Viertel bestimmte ein Straßenboss oder
guappo
den Schwarzhandel. Jeder, der heiße Ware zu verkaufen hatte, wandte sich an den
guappo
, dessen Helfershelfer auf den Straßen hastig nach dem passenden Abnehmer suchten. Die Gewinne, die auf diese Weise erzielt werden konnten, waren gewaltig. Das ungebildete Lumpenproletariat der Unterstadt, das mit Schiebereien zu Geld kam, sei laut PWB außerstande gewesen, die Scheine zu zählen, die es säckeweise anhäufte, und habe sie stattdessen gewogen. Einmal wurde ein Bankangestellter im Vorübergehen von einem alten Weib angesprochen. »Ich habe drei Kilo Tausendlirescheine«, sagte es und bat ihn, er möge die Scheine zählen, die es in einem großen Weidenkorb gesammelt hatte; als er fertig war, schenkte die Alte ihm zur Belohnung 2000  Lire. Die Geschichte ist typisch: Bankbeamte, Fabrikarbeiter, Pensionäre und Angestellte – Menschen mit festen Einkommen also – hatten in der Zeit der Befreiung am meisten unter der Inflation zu leiden, während der Schwarzmarkt blühte. In Neapel, stellte die PWB fest, »verschwinden die Klassenunterschiede«. Verbrechen zahlte sich aus.
    Während in Italien Krieg herrschte, war Neapel der

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