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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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legendären Begründer der drei Ehrenwerten Gesellschaften, hörte Castagna besonders gern.
    Die Bande in Presinaci verfügte auch über ein Gericht, das »Tribunal der Demut«. Zu den geringeren Strafen, die das Tribunal verhängte, zählten oberflächliche Stichwunden oder der erniedrigende
tartaro
, »Hölle«. Mit dem
tartaro
wurde bestraft, wer sich feige oder überheblich gezeigt hatte. Dabei bildeten die Mitglieder einen Kreis, in dessen Mitte der Verurteilte treten und Jacke und Hemd ausziehen musste. Einer der Anführer ergriff eine Bürste und bestrich Kopf und Oberkörper des Verurteilten mit einer Paste aus Kot und Urin.
    Sexualität und Ehe erzeugten viele Spannungen, um deren Lösung das Tribunal der Demut bemüht war. Einer von Castagnas Brüdern wurde für zehn Tage aus der Kneipe verbannt und mit einer Geldstrafe von 1000  Lire belegt. Er hatte gegen die Übereinkunft mit einem anderen Mafioso verstoßen, die darin bestand, abwechselnd mit dem Mädchen zu schlafen, das beide begehrten.
    In Presinaci machte sich die Ehrenwerte Gesellschaft stets an öffentlichen Orten bemerkbar, bei wichtigen Anlässen des Gemeindelebens. So hatte sie zum Beispiel den Volkstanz in Beschlag genommen. Castagna erinnerte sich: »An kirchlichen Feiertagen versuchten wir Mitglieder der Gesellschaft immer, den Tanz unter Kontrolle zu haben, damit die Nichtmitglieder dem Vergnügen fernblieben.« Der
mastro di giornata
(»Herr des Tages«, der Sprecher des Bosses) pflegte alle Bandenmitglieder in der Reihenfolge ihres Ranges zum Tanz aufzurufen. Einmal, erinnerte sich Serafino Castagna, sei ein Nichtmitglied, das allzu hartnäckig darauf bestanden habe, mitzutanzen, brutal zu Boden geprügelt worden.
    Im Januar 1942 unterbrach der Krieg Castagnas kriminelle Karriere. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit – er hatte sich eine Malaria zugezogen – wurde er in ein Artillerie-Regiment eingezogen. Nach dem Zusammenbruch der italienischen Armee im September 1943 gelang ihm die Flucht, vorbei an der deutschen wie auch der alliierten Front, bis er zerlumpt und hungrig in seinem Heimatdorf ankam. Dort setzte er seine Laufbahn fort, die mit dem Blutbad des 17 . April 1955 endete.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Leben in Presinaci wieder den gewohnten elenden Gang. Sobald sämtliche Anführer von den Orten heimgekehrt waren, zu denen der Konflikt sie verschlagen hatte, steigerte die Ehrenwerte Gesellschaft ihre Aktivitäten. Die Anzahl der Brandanschläge und Diebstähle nahm zu. Kontakte zu Banden an anderen Orten wurden regelmäßiger. Das Tribunal trat häufiger zusammen. Die Verbrechen wurden ehrgeiziger und Gewalttaten zahlreicher: Castagna stellte einen Mann zur Rede, gegen den er einen kleinlichen Groll hegte, und erstach ihn. Immer häufiger wurde von den Mitgliedern die Bereitschaft vorausgesetzt, einen Mord zu begehen. Das Klima wurde noch rauher, als Latino Purita, Castagnas »ehrenwerter« Vetter, Boss der Bande wurde, nachdem sein Vorgänger emigriert war.
    Castagna geriet zum ersten Mal in Bedrängnis, als er den Befehl erhielt, ein neues Mitglied mit 1000  Lire Strafe zu belegen, weil es mit einem Nichtmitglied über die Angelegenheiten der Gesellschaft getratscht hatte. Castagnas Anweisung lautete, den Frevler hinzurichten, falls er das Geld nicht herausrückte. Das fragliche Mitglied war Domenicantonio Castagna, sein entfernter Cousin, den er fünf Jahre später, bei seinem Amoklauf, als Ersten ins Visier nehmen würde. Castagna hatte sich mit Domenicantonio wegen des Geldes überworfen, ein städtischer Schutzmann intervenierte, und Castagna schoss Domenicantonio am Ende in die Brust. Der überlebte zum Glück. Castagna jedoch wurde verhaftet und wegen Körperverletzung ins Gefängnis gesteckt.
    Castagna schreibt, die Gesellschaft habe es versäumt, ihm wie versprochen im Gefängnis zu helfen. Doch damit nicht genug: Als er Ende 1953 freikam, warf man ihm sofort vor, dass Domenicantonio noch am Leben war. Er könne seinen Ruf nur retten, hieß es, indem er den Schutzmann tötete, der den Streit hatte schlichten wollen. Castagna erhob Einspruch gegen den Beschluss und erwirkte einen kurzen Aufschub: Die Bosse entschieden, dass er den Schutzmann zwar töten müsse, aber warten dürfe, bis im Frühjahr 1955 die Bewährungszeit vorüber wäre.
    Castagna saß in der Falle. Wenn er den Beamten ermordete, würde er mit Sicherheit den Rest seines Lebens im Gefängnis zubringen. Andererseits war die Vorstellung des

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