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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Festlands.
    Giuseppe Aloi betrieb in Reggio Calabria eine Ziegelei mit etwa 150  Angestellten. Am Tag vor Serafino Castagnas Bluttat schrieb Aloi einen Brief an den Innenminister. Er war verängstigt und wütend: Sein Sohn sei erst vor kurzem im Stadtzentrum von Reggio einem Entführungsversuch entgangen. Seitdem habe die Familie Drohungen und Geldforderungen erhalten, und die Polizei vor Ort sei nicht in der Lage, die Schuldigen zu identifizieren. Die Zustände seien so desaströs, dass er mit dem Gedanken spiele, seine Fabrik zu schließen. Aloi wies auch auf die steigende Zahl von Verbrechen in der Region:
    »Es ist leider eine bekannte Tatsache, dass diese Verbrecher in fast jeder Provinzstadt wieder aufgetaucht sind. Es gibt zahlreiche Mafiosi, die zwar keiner nützlichen Beschäftigung nachgehen, aber dennoch einen luxuriösen Lebensstil pflegen, der auf verdächtigem Reichtum basiert. Sie bieten den Bauern ihre Dienste an oder zwingen sie zu ungewöhnlichen Zahlungen. Als Gegenleistung erhalten sie von den Ganoven die Gewähr, dass ihr Besitz und ihre Habe respektiert werden.«
    Zwei Tage nachdem der Unternehmer seinen Brief geschrieben hatte, versuchten Beamte in Zivil, den Erpressern in zwei ungekennzeichneten Fahrzeugen auf einer gewundenen Bergstraße des nördlichen Aspromonte aufzulauern. Einer der Polizeiwagen wurde aus den bewaldeten Hängen heftig unter Beschuss genommen. Wie durch ein Wunder erlitten die vier Insassen nur leichte Verletzungen. Die kalabrische Mafia war schwer bewaffnet und bereit, die Ordnungskräfte direkt anzugreifen.
    Einer Bitte um weitere Informationen Folge leistend, schickte der Präfekt von Reggio Calabria einen Bericht an den Innenminister in Rom, der Alois Einschätzung bestätigte. Kalabrien wurde von einem »großen Verbrechernetz« umspannt, das sich mit Hilfe der Omertà und eines »gut organisierten Protektionssystems, das sogar in die Politik reicht«, erfolgreich dem Gesetz entzog; »wenn Wahlen bevorstehen, betätigen sich diese Individuen (= Mafiosi) oft als Wahlagenten für die eine oder die andere Partei und versuchen, mit dem Gewicht ihrer Klientel die Wahlergebnisse zu beeinflussen«. Die kalabrische Mafia wurde allmählich zu einem Problem für die öffentliche Ordnung, das nicht mehr als die Tat eines einzelnen psychisch labilen Bauern abgetan werden konnte.
    Bald nach seinem Amtsantritt im Juli entschied ein neuer christdemokratischer Innenminister, dass dringender Handlungsbedarf bestand. Er wollte mit einer Schärfe gegen die Mafia vorgehen, wie man sie in Italien seit dem Antimafia-Feldzug der Faschisten in den späten zwanziger Jahren nicht mehr erlebt hatte. Und so erhielt Carmelo Marzano, ein dynamischer neuer Polizeichef, den Auftrag, eine Ermittlung zu leiten, die später als »Operation Marzano« bekannt werden würde. Eine Invasion der Marsianer (
Marziani
), witzelten lokale Scherzbolde: Kalabrien werde in Kürze Eindringlinge vom Planeten »Recht und Ordnung« begrüßen.
    Angriff der Marsianer!
    Der Minister, der das scharfe Vorgehen gegen die Mafia in Kalabrien angeordnet hatte, war Fernando Tambroni, ein Christdemokrat aus der Region der Marken. Tambroni, der sehr schüchtern war, erhielt von der Presse wenig Aufmerksamkeit. Seine Äußerungen bezüglich seiner Taktik waren vage und schwer verständlich, sogar nach den Maßstäben der Christdemokraten. Die einzigen augenfälligen Merkmale an ihm waren seine alabasterne Schönheit und seine elegante Erscheinung. (Er war ein treuer Kunde des römischen Eliteschneiders Del Rosso.) Privat folgte Tambroni einem Glaubenssystem, das auf drei Säulen ruhte: seinem Glauben an San Gabriele dell’Addolorata, dem Einfluss seines persönlichen Astrologen sowie der Angewohnheit, über Freunde und Feinde geheime Akten anzulegen.
    Ungeachtet dieser kleinen Schwächen wirkte Tambronis Operation Marzano zunächst wie eine gute, altmodische, konservative Strategie, die auf den Grundsätzen von Recht und Ordnung basierte wie in anderen westeuropäischen Ländern. Die Operation Marzano wurde als Probelauf von Tambronis Law-and-Order-Strategie vorgestellt, als ein Versuch, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu stärken (und damit auch die Christdemokraten). Zu Beginn der Operation gab Minister Tambroni ein Zeitungsinterview, in dem er die Regierung in Kalabrien als eine »Herrschaft des organisierten Verbrechens« bezeichnete und versprach, er werde »den Dingen auf den Grund gehen« und »niemandem

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