Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf die seltsame Welt der kampanischen Großmarktszene lenkte.
     
    Pupetta, die mit einer Perlenkette spielt. Pupetta, die sich durch das lange, dunkle Haar streicht. Pupetta, die an einem Baum lehnt. Pupetta in Häftlingskleidung. Pupetta in glücklicheren Tagen. Pupetta im Gefängnis, mit ihrem neugeborenen Baby im Arm. Als die beiden Morde des Corso Novara vor Gericht verhandelt wurden, gierten Zeitungsleser nach einem Foto von Pupetta, und sie kam ihnen entgegen, indem sie wie ein Hollywoodsternchen posierte. Doch wer war dieses pausbäckige Mädchen auf den Fotos, und was hatte sie bewogen, zur Mörderin zu werden? War sie eine Gangsterbraut oder nur eine verwitwete junge Mutter, halb wahnsinnig vor Trauer?
    Pupetta Maresca gab ihre eigene Antwort auf diese Fragen, als sie in den Zeugenstand trat: Ihr erster Satz lautete: »Ich habe aus Liebe getötet.« Sie gab zu, Totonno erschossen zu haben, weil dieser gemeinsam mit einem anderen Großmarkthändler namens Antonio Tuccillo (alias
’o Bosso
, der »Boss«) Pascalones Ermordung angeordnet habe. Ihr Mann habe es ihr auf dem Totenbett verraten, behauptete Pupetta. Demnach handelte es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft, die Rache einer Witwe, die den Mörder ihres geliebten Ehemanns bestraft hatte. Einer der Korrespondenten, an Puccinis tragische Oper
Tosca
erinnert, deren Protagonistin dazu getrieben wurde, ihren Geliebten zu rächen, nannte Pupetta eine bäuerliche Tosca.
    Dies war die Pupetta, die das Volk – zumindest ein Teil davon – sehen wollte. Dass die Geschichte in Wahrheit einen Gangsterhintergrund hatte, war nur allzu deutlich. Zeitungen im Norden hatten eine umfassende Debatte über die »neue Camorra« begonnen. Doch in Neapel erhitzte der Gedanke, die Camorra könne am Ende doch nicht mausetot sein, nach wie vor die Gemüter. Die Zeitung
Roma
, die den Bürgermeister Achille Lauro unterstützte, war wie immer darauf erpicht, dem organisierten Verbrechen einen sentimentalen Anstrich zu verpassen. Lauros Neapel würde sich niemals irgendeinem voreingenommenen Norditaliener beugen, der diese tragischen Morde zum Vorwand nahm, um die Camorra ins Spiel zu bringen. Die Zeitung
Roma
– und mit ihr ein Teil der Öffentlichkeit in Neapel – hatte Tosca-Pupetta ins Herz geschlossen und beschwor ihre Richter, sie nach Hause zu schicken, zu ihrem Kind.
    Doch dies war nicht die wahre Pupetta. Vielen im Gerichtssaal kam es so vor, als habe sie es mit Absicht auf den Tosca-Vergleich abgesehen. Sie sprach nicht ihren gewohnten Dialekt, sondern ein befangenes, korrektes Italienisch. Pupetta, so ein Korrespondent, »versucht, mit einer Pflaume im Mund zu sprechen. Sie sagt: ›Es ist offenkundig‹ und ›Das Schicksal hat es so gefügt‹, als wäre sie die Heldin eines dieser Schnulzenromane für empfindsame Herzen und naive Gemüter.«
    Bald zeigten sich die Risse in ihrer Verteidigungsstrategie. Ihre melodramatischen Posen passten nicht so recht zur Argumentationsweise ihres Verteidigers, der behauptete, sie sei auf dem Corso Novara von Totonno aus Pomigliano bedroht und angegriffen worden und habe in Notwehr zurückgeschossen. Mit den ersten Worten, die sie vor Gericht äußerte, stellte Pupetta sich selbst ein Bein: »Ich habe aus Liebe getötet. Und weil man mich umbringen wollte. Wäre mein Mann wieder lebendig und sie würden ihn erneut umbringen, dann würde ich mit Sicherheit dasselbe noch einmal tun.«
    Die Staatsanwaltschaft brauchte nicht eigens zu betonen, dass ein Tötungsdelikt entweder ein Verbrechen aus Leidenschaft oder ein verzweifelter Akt der Notwehr sein konnte. Aber nicht beides.
    Pupetta wurde gefragt, ob ihre Familie in Castellammare einen Spitznamen habe. Sie wand sich und vermied das Thema eine Weile. Als sie endlich antwortete, flammte unwillkürlich Stolz auf in ihren Augen: »Sie nennen meine Familie
›e lampetielli‹
«, gab sie zu – »die blitzenden Klingen«. Die Marescas waren ein berüchtigter, gewalttätiger Haufen mit Strafregistern, die zu ihrem Beinamen passten. Pupetta, so jung sie war, war bereits wegen Körperverletzung angeklagt worden. Ihr Opfer hatte die Anklage zurückgezogen. Der Grund dafür ist nicht schwer zu erraten.
    Pupettas Sorge während der Verhandlung galt vor allem ihrem 16 -jährigen Bruder Ciro, der ihrer Aussage nach nicht in den Mord verwickelt gewesen war. Ciro, so wurde vermutet, hatte neben Pupetta auf der Rückbank des Fiats gesessen und mit einer

Weitere Kostenlose Bücher