Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
der Fragen, die der Fall Pupetta unbeantwortet ließ, betrafen die Kontakte der ländlichen Clans zur Politik. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Ganoven der Provinzstädte sich in derselben Art und Weise als Stimmenfänger betätigten wie die
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in Neapel.
Außerdem stellte sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Clans auf dem Land und der Gangsterszene in der Stadt. Die kriminellen Gemüsehändler ließen die
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der Elendsviertel im Vergleich aussehen wie Schmalspurganoven. Die Vergangenheit liefert uns vielleicht ein paar Hinweise bezüglich der Verbindungen zwischen den beiden. Gangster von der Sorte eines Pasquale aus Nola und eines Totonno aus Pomigliano haben eine Vergangenheit, die bis zum heutigen Tag weitgehend unbekannt ist. Dennoch waren in den Tagen der alten Ehrenwerten Gesellschaft von Neapel die einflussreichsten Camorristi stets diejenigen, die Geschäftsverbindungen zu Provinzstädten wie Nola hatten. Das große Geld war nicht mit der Plünderung von Läden und Ständen in der Stadt zu machen, sondern fand sich flussaufwärts, wo das Vieh und die Agrarerzeugnisse ihren Ursprung hatten. Außerhalb von Neapel überlebten größere kriminelle Organisationen den Tod der Ehrenwerten Gesellschaft und konnten sich ihre Macht auch während der faschistischen Ära erhalten. Daher war die »neue Camorra«, die der Fall Pupetta ans Licht brachte, wahrscheinlich gar nicht so neu.
Hätte man über die sizilianische Mafia in den 1950 er Jahren nicht so viel verworrenes Zeug verbreitet, wäre den Beobachtern des Pupetta-Maresca-Prozesses wohl auch die große Ähnlichkeit zwischen den Familien der Camorra aus dem neapolitanischen Hinterland und jenen der Mafia in Sizilien und Kalabrien aufgefallen. Auch deren Macht basierte auf Gewalt, auch sie besaßen Reichtümer, die sowohl legal als auch illegal erwirtschaftet waren, und auch ihre Gier nach Obst und Gemüse war unersättlich. Im März 1955 , nur sieben Monate bevor Pupetta den Mörder ihres Mannes erschoss, war ein Mafioso namens Gaetano Galatolo, Tano Alatu genannt, am Eingang zu Palermos neuem Großmarkt im Acquasanta-Viertel erschossen worden. Es folgte ein erbitterter Kampf um die Kontrolle über den Markt. Noch gab es in Südkalabrien keinen Großmarkt, der sich mit den Märkten in Neapel und Palermo hätte vergleichen lassen; zu diesem Zeitpunkt floss auch noch kein Blut wegen Salatköpfen oder Birnen. Doch kontrollierten die Gangster vor Ort bereits die kleineren Märkte in Reggio Calabria, Palmi, Gioia Tauro, Rosarno, Siderno, Locri und Vibo Valentia. Während sich Italien von den Hungerjahren des Krieges und der Wiederaufbauzeit erholte und seine ersten zögernden Schritte in Richtung Wohlstand machte, geriet die Nahrungsversorgung des Südens in den Würgegriff der Mafias.
Nach den Ereignissen des Jahres 1955 in Neapel kamen die besten Kommentatoren aktueller Ereignisse, die nicht der Kommunistischen Partei angehörten, zu beunruhigenden Schlussfolgerungen. Ein Beispiel war der liberale Intellektuelle und Politiker Francesco Compagna: Seine Zeitschrift
Nord e Sud
veröffentlichte in den folgenden Jahren einige wichtige Analysen zum organisierten Verbrechen. Doch zu einer Zeit, da die einzigen Frauen im Umkreis der Ganoven die schwarzgekleideten Mafiawitwen aus Sizilien und Kalabrien waren, tat sich selbst ein ernsthafter Beobachter wie er schwer, in Pupetta Maresca mehr zu sehen als eine Ausnahmeerscheinung. Die meisten vertraten die Ansicht, dass eine Frau sich nur deshalb mit einem Gangster einließ, weil sie eine der typischen, der Familie verpflichteten Frauen des Südens war, die keinerlei aktive Rolle im System der Mafia spielten.
Pupetta erhielt eine Haftstrafe von 18 Monaten für den vorsätzlichen Mord an Totonno aus Pomigliano. Und trotz all ihrer Bemühungen wurde ihr Bruder Ciro schließlich zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Viele Italiener waren fasziniert von der »Tosca«-Version ihrer Geschichte. Nach dem Aufsehen, das der Mord erregt hatte, zeigte sich die italienische Filmindustrie geradezu besessen von Pupetta. Der erste Film kam bereits 1958 heraus, noch vor dem Prozess. Zwei Jahre nach ihrer Freilassung, 1967 , spielte Pupetta selbst die Hauptrolle in dem Film
Delitto a Posillipo
, der ihrem Leben nachempfunden war. 1982 wurde sie in einem Fernsehfilm von Alessandra Mussolini dargestellt, der Enkelin des Duce. Eine weitere Verfilmung folgte 2012 . Pupetta hatte nach ihrer Freilassung ein Doppelleben
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