Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
von Marano. Das Familienunternehmen hatte unlängst einen lukrativen Auftrag an Land gezogen und belieferte ein Klinikkonsortium mit Obst und Gemüse. Der junge Killer kümmerte sich persönlich darum, Erzeugnisse in Sizilien, Rom, Mailand und Brescia zu verkaufen.
    Mittlerweile waren die gebildeteren Beobachter des Falls weniger an der verführerischen Pupetta interessiert als an der Art und Weise, wie diese gewaltbereiten Männer aus der erzeugnisreichen Landwirtschaft der Region Kampanien Geld schlugen. Ein Ausspruch Pupettas zu Beginn des Verfahrens hatte einen Riss in die Mauer des Schweigens gesprengt: Sie hatte Pascalone als »Kartoffelpreispräsidenten« bezeichnet. Er hatte den Marktpreis für die Kartoffeln bestimmt. Auch der ermordete Totonno aus Pomigliano wurde als Preispräsident bezeichnet.
    Worin also bestand die Aufgabe eines Preispräsidenten? Pupetta verlieh der Rolle ihres Mannes einen märchenhaften Anstrich. Ihr Tarzan habe die Kartoffelpreise im Interesse der armen Bauern festgesetzt, behauptete sie. Er sei ein ehrlicher Mann gewesen und von seinen ausbeuterischen Konkurrenten gehasst worden. Diese Behauptung ist nicht glaubwürdiger als der Rest von Pupettas Aussage. Wahrscheinlicher ist, dass die Macht eines Präsidenten, wie im Zusammenhang mit der italienischen Mafia stets der Fall, auf ein bestimmtes Territorium beschränkt war, in dem er eine Organisation aufbauen konnte, die sich ohne Angst vor Bestrafung gewaltsamer Methoden bediente. Seine Männer wandten sich an die kleinen Bauern und boten ihnen Kredite, Saatgut, Werkzeug und was immer sie für die nächste Aussaat benötigten. Die Schulden würden sie mit den Erträgen bezahlen, für die im Vorfeld ein niedriger Preis vereinbart wurde. Bosse wie Pascalone oder Totonno drohten jedem Bauern, der genügend Bargeld oder Schneid besaß, um außerhalb des Kartells Geschäfte zu machen, systematisch mit Vandalismus und Schlägen. Indem sie so das Angebot an Obst und Gemüse kontrollierten, konnten diese Männer, die sowohl Kredithaie und Schutzgelderpresser als auch Zwischenhändler waren, die zu zahlende Geldsumme bestimmen, sobald die Lastwagen in den Großmarkthallen im Vasto-Viertel von Neapel entladen wurden.
    Die vielen zweifelhaften Zeugenaussagen im Prozess gegen Pupetta Maresca bedeuten, dass wir unsere Erkenntnisse aus der Forschung bemühen müssen, um ihr Bild zu vervollständigen. Es ist wahrscheinlich, dass die Präsidenten aus bis zu 15  Städten im Hinterland von Neapel (Pascalone aus Nola, Totonno aus Pomigliano und so weiter) sich regelmäßig in Neapel trafen, um die Preise auszuhandeln. Weil sie gemeinsam den Nachschub bestimmter Erzeugnisse kontrollierten, kamen sie überein, die Festsetzung der Preise für einzelne Obst- und Gemüsesorten jeweils dem Präsidenten zu überlassen, in dessen Territorium sie überwiegend angebaut wurden: daher Pasquales Kartoffeln.
    So korrupt oder ineffektiv dieses System auch wirken mochte, es hatte immerhin deutliche Vorteile für alle nationalen und internationalen Firmen, die auf dem Großmarkt von Neapel Produkte beziehen wollten. Firmen wie die Hersteller von Dosentomaten für Pasta und Pizza pflegten sich an die Preispräsidenten zu wenden, um Garantien zu erhalten: dass die Versorgung nicht abreißen würde, dass die Preise absehbar blieben und dass die Geschäfte, die man unter vier Augen auf dem Corso Novara abschloss, respektiert würden. Als Gegenleistung für ihre Dienste kassierten die Preispräsidenten persönliche Bestechungsgelder. Pascalone hatte angeblich pro 100  Kilo Kartoffeln, die auf dem Markt abgeladen wurden, einen Anteil von 100  Lire verlangt. Einem Zeugen zufolge konnte der Kartoffelpreispräsident täglich 50  Lastwagen Kartoffeln auf den Markt bringen – etwa 750 000  Kilo. Falls diese Zahlen stimmen, verdiente Pascalone an einem guten Tag ganze 10 000  Euro (nach heutigen Maßstäben), wobei das Geld, das er den armen Bauern abpresste, und die Summen, die er mit seinem Obst- und Gemüsehandel verdiente, noch nicht mitgerechnet sind.
    Spätere Ermittlungen ergaben, dass auch der Handel mit Vieh, Meeresfrüchten und Molkereiprodukten in der Hand der Camorra lag. Neapel hatte nicht einmal einen Viehgroßmarkt – sämtliche Geschäfte wurden in der berüchtigten Provinzstadt Nola erledigt, der Heimat Pascalones. Laut Aussage eines Experten hatte die Ehrenwerte Gesellschaft in Nola die Verlegung des Viehmarktes von Neapel nach Nola durchgesetzt.
    Einige

Weitere Kostenlose Bücher