Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
Pistole auf Totonno geschossen. Dem Verteidiger des Jungen war nicht damit geholfen, dass sein Mandant bei Prozessbeginn noch immer auf der Flucht war.
    Doch es war vermutlich nicht nur ihr Bruder, den Pupetta zu decken suchte. Ballistikexperten konnten nie die exakte Anzahl der Schüsse ermitteln, die gewechselt worden waren – 25 ? 40 ? –, weil die Einschusslöcher, die über die Mauern am Corso Novara verstreut waren, auch aus vorangegangenen Schießereien um den Obsthandel stammen konnten. Ebenso gut ist es denkbar, dass Pupetta und ihr Bruder Ciro nicht die Einzigen waren, die auf Totonno feuerten. Wenn dem so war, hatte »Tosca« tatsächlich ein größeres Erschießungskommando geleitet und keineswegs impulsiv und allein Rache geübt, sondern gleichsam einen militärischen Einsatz durchgeführt.
    Durch die Risse in Pupettas Fassade erhaschte das Italien der Nachkriegszeit erste Blicke auf ein im ländlichen Umland Neapels tiefverwurzeltes Gangstersystem, das sich durch keine noch so große Menge an Klischees mehr verbergen ließ. Pupetta war eine junge Frau, die mit den Angelegenheiten ihres Clans eng verwoben war. Eine dieser Angelegenheiten war ihre Heirat: Hier hielt nicht etwa Tarzan mit seiner Märchenprinzessin Hochzeit, hier ging es um die Vermählung zwischen einer angesehenen kriminellen Blutlinie wie den »Blitzenden Klingen« und einem vielversprechenden jungen Ganoven wie Pascalone. In der Welt der kampanischen Clans war die treibende Kraft nicht etwa heiße Liebe, sondern eine kalt berechnende Mischung aus Diplomatie und Gewalt. Vor jedem der beiden Morde auf dem Großmarkt hatte ein sorgfältig geplantes Abendessen für 50  Gäste stattgefunden. Offenbar sollte damit ein Friedensabkommen besiegelt werden, und zwar zwischen Pascalone und Totonno aus Pomigliano, dem Mann, den Pupetta später ermorden würde. Niemand konnte mit Gewissheit sagen, was genau bei Tisch besprochen und vereinbart worden war. Sicher war nur, dass das Friedensabkommen schon bald gebrochen wurde. Doch selbst nach Pascalones Tod wurden die diplomatischen Bemühungen fortgesetzt: Es gab zahlreiche Kontakte zwischen Totonnos Leuten und Pupettas Familie. Versuchten sie, den Frieden mit dem Clan der jungen Witwe zu erkaufen? Das Kriegsbeil zu begraben, weil es den Geschäften hinderlich war?
    Diese und ein Dutzend weitere Fragen sollten am Ende der Verhandlung offenbleiben, hauptsächlich weil sämtliche Zeugen, die nach Pupetta ihre Aussage machten, dem Gericht nichts als Lügen erzählten. »Ich habe nichts gesehen«, so der Refrain, »Ich erinnere mich nicht«. Ein einziger Mann wurde tatsächlich im Gerichtssaal verhaftet: Er hatte seine Aussage dreist an den meistbietenden Anwalt zu verschachern versucht. Dabei hätten viele dieselbe Behandlung verdient gehabt. Der Vorsitzende Richter verlor immer wieder die Geduld. »Ihr lügt doch allesamt. Wir schreiben alles nieder und schicken ein Gebet zu Gott, um herauszufinden, wer hier flunkert.«
    Wie die neapolitanische Zeitung
Il Mattino
kommentierte, stammten die meisten Zeugen, ob sie nun für die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung logen, »aus Familien, in denen ein natürlicher Tod die seltene Ausnahme ist«. Der blonde junge Mann im schiefergrauen Anzug, der Pupettas Ehemann erschossen hatte, hieß Gaetano Orlando. Sein Vater, Don Antonio, war sechs Jahre zuvor bei einem Mordversuch verwundet worden. Aus Rache hatte Gaetano dem Schuldigen aufgelauert, aber nur ein kleines Mädchen namens Luisa Nughis erschossen. Er war zu lachhaften sechs Jahren Haft verurteilt worden, von denen er nur drei verbüßte. Totonnos Verwandtschaft aus Pomigliano war noch furchterregender: Alle drei Brüder des Toten arbeiteten mit ihm im Obst- und Gemüseexport; alle drei waren des Mordes angeklagt; und einer von ihnen, Francesco, trat mit einer schwarzen Sonnenbrille in den Zeugenstand, weil er 1946 bei einem Schusswechsel sein Augenlicht verloren hatte.
    Diese Leute mochten Exsträflinge und Ganoven sein, verfügten aber trotzdem über Chauffeure und Hausdiener, Buchhalter und Leibwächter. Sie besaßen Firmen, fuhren Luxuswagen und trugen Maßanzüge. Der Onkel des großen Pasquale, mit einer unheimlichen Ähnlichkeit zu Yul Brynner, hielt sich zumeist in den Kasinos von Saint Vincent und Monte Carlo auf – nachdem er in den Vereinigten Staaten 20  Jahre wegen Mordes im Gefängnis gesessen hatte. Der Mann im grauen Anzug, Gaetano Orlando, war der Sohn des früheren Bürgermeisters

Weitere Kostenlose Bücher