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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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begonnen, das sie jahrelang beibehalten würde, das eines Filmstars und einer Gangsterkönigin.

3 DAS WIRTSCHAFTSWUNDER DER MAFIAS
    König Beton
    In den späten 1950 er und frühen 1960 er Jahren wuchs die Industrie in Italien schneller als in jedem anderen Land Westeuropas. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war ein Anreiz für den Export; billige Energie, billige Arbeitskraft und billiges Kapital schufen die richtigen Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum im Inland, und der Norden Italiens profitierte von seinen unternehmerischen und handwerklichen Traditionen. Ein landwirtschaftlich geprägter Staat, dessen Bewohner sich noch in den 1940 er Jahren größtenteils auf Pferdewagen fortbewegt hatten, fuhr jetzt in motorisierten Kraftwagen in die Ära der Massenproduktion. Fabriken im Norden spuckten in exponentiell steigenden Mengen Motorroller, Autos und Reifen aus. Es war Italiens »Wirtschaftswunder«, die rasanteste und tiefgreifendste gesellschaftliche Veränderung in der gesamten Geschichte der Halbinsel.
    Auch die Lebensweisen veränderten sich. Als Traktoren und Kunstdünger die Landwirtschaft modernisierten, verließen Tagelöhner in Scharen die ländlichen Regionen. Italien wurde vom Konsumbazillus befallen. 1954 begann das Fernsehen und mit ihm die Werbung für Brühwürfel, Dosenfleisch, Kaffeekannen, Zahnpasta … Die Italiener sorgten sich mit einem Mal um Schweißgeruch unter den Achseln, strähniges Haar und Schuppen. Waschmaschinen, Kühlschränke und Mixer verhießen für Millionen von Frauen ein Ende der häuslichen Plackerei. Neue Schnellstraßen wurden gebaut für das Heer neuer Autobesitzer.
    Italien kam in Mode. Marken wie Zanussi, Olivetti und Alfa Romeo eroberten den Kontinent. Die Vespa und der Fiat  500 wurden zu Ikonen. Alle Welt sehnte sich nach italienischen Handtaschen und Schuhen. Bald sollte auch Italiens vielbelächeltes Essen seine Liebhaber finden.
    Während des Wirtschaftswunders mauserte sich Italien schnell zu einer der führenden kapitalistischen Industrienationen der Welt. Es war eine glanzvolle Erfolgsgeschichte für ein Europa, das sich aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erhoben hatte.
    Doch das Wirtschaftswunder eröffnete auch den Mafias ungeahnte Wege zu neuem Reichtum. Und deren bevorzugte Industriezweige hatten kaum unter den Problemen zu leiden, die der legalen Wirtschaft zu schaffen machten, sobald der Boom irgendwann abflaute. Keine Wachstums- und Rezessionszyklen. Keine pampigen Gewerkschaften. Kaum Konkurrenz. In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren verzeichnet die Geschichte der Mafias einen steilen Aufwärtstrend stetig wachsenden Wohlstands. Das Wirtschaftswunder der Mafias sollte den ersten Spurt der legalen Industrie bei weitem überdauern.
    Ab Mitte der fünfziger Jahre erschlossen sich die drei größten kriminellen Organisationen Italiens der Reihe nach vier neue – zumindest neuerdings lukrative – Geschäftsquellen: Bauwesen, Tabakschmuggel, Entführung und Drogenhandel. Das Wirtschaftswunder der Mafias nahm die Form einer komplizierten Fuge an, bei der jede einzelne Organisation – einem Trend folgend, der üblicherweise in Sizilien vorgegeben wurde – der Reihe nach dieselben Zyklen der Gier durchlief, und jede der vier Geschäftsquellen vergrößerte nacheinander den Einfluss der Mafias.
    Die beiden Kernfertigkeiten, die die Mafias zum Einsatz brachten, um von der Bauindustrie, dem Tabakschmuggel, von Entführung und Drogenhandel zu profitieren, waren dagegen durchaus klassisch: Einschüchterung und Vernetzung, Praktiken, die von Anfang an das Wesen der Mafiakriminalität ausmachten. Dennoch verhalf die neue Ära krimineller Geschäfte den Bossen nicht nur zu nie gekanntem Reichtum, sie veränderte auch grundlegend die Landschaft der Mafiamacht.
    Zum einen gebar Geld wieder Geld. Die Erträge aus einem illegalen Unternehmen wurden in andere gesteckt und vervielfältigten sich auf diese Weise. Vom Bauwesen über den Zigarettenschmuggel hin zu Entführung und Drogenhandel: In den folgenden drei Jahrzehnten wurden ineinandergreifende Kettenreaktionen in Gang gesetzt. Die Mafias wurden das, was Italiens Mafiaexperten mit dem englischen Begriff
holding companies
bezeichnen. In mancher Hinsicht waren Mafiosi dies schon immer: Universalkriminelle, die im 19 . Jahrhundert ihre Einnahmen aus der Schutzgelderpressung beispielsweise in gestohlenes Vieh investierten. Doch ab den späten fünfziger Jahren wurden die Investitionen

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