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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Mezzogiorno? Ich bitte Sie! Investieren Sie Ihr Geld ruhig in einer Fabrik, wenn Sie wollen! Gewerkschaften, Zahlungsforderungen, Streiks, Krankenversicherung … Davon kriegen Sie höchstens einen Herzinfarkt.«
    Es hätte keine lebhaftere Zusammenfassung für das kaltblütige Credo eines sogenannten
affarista
geben können, wie die Italiener solche Profithaie und Geschäftemacher mit Cowboyallüren nennen.
Affaristi
umgehen die Risiken echten Unternehmertums für gewöhnlich, indem sie im Schatten des politischen Systems agieren, kleine Monopole und Amigogeschäfte aushandeln.
    Gangster haben es lieber mit solchen Geschäftemachern zu tun als mit seriösen Unternehmern. Doch obwohl
Hände über der Stadt
das damals brandaktuelle Porträt eines neapolitanischen
affarista
zeichnet, taucht bezeichnenderweise das Wort Camorra in Rosis Film nicht auf; auch spielt niemand, der als Camorrista gelten könnte, eine größere Rolle darin. Doch ausnahmsweise ist dieser Mangel kein Hinweis auf einen Vertuschungsversuch oder auf moralische Blindheit: Er reflektiert vielmehr die örtlichen Gegebenheiten. In Neapel fehlte es den Camorristi tatsächlich am nötigen Einfluss, um sich einen größeren Anteil am Bauboom zu sichern. Es gab in dieser Phase schlicht keine Camorristi, die sich zugleich als
affaristi
im Bauwesen tummelten.
    Völlig anders war die Situation in Palermo: Hier waren die Stadträte und Bauingenieure stets von Ehrenmännern flankiert;
affaristi
und Mafiosi standen einander so nah, dass sie fast nicht zu unterscheiden waren.
    In den späten fünfziger und sechziger Jahren schuf die Mafia nach dem eigenen grauenhaften Bild ein neues Palermo: Die rasende Bauspekulationswelle wurde als Plünderung Palermos bekannt. Zwei besonders skrupellose Politiker mit Mafiabeziehungen spielten bei der Plünderung eine Schlüsselrolle. Der erste war Salvo Lima, ein wortkarger junger Mann mit sanften Zügen, dessen einzige Extravaganz in einer kleinen Zigarettenspitze bestand, mit der er rauchte. Er sah aus wie der Mittelschichtjunge, der er war – der Sohn eines Stadtarchivars. Nur dass sein Vater in den 1930 er Jahren zugleich auch ein Mafiakiller gewesen war. (Dieses kleine Detail in Limas Biographie war unter den Tisch gekehrt worden, nebst allen anderen wichtigen Informationen aus faschistischer Zeit, die sich auf die Bekämpfung der Mafia bezogen.) 1956 ergatterte Lima aus dem Nichts einen Sitz im Stadtrat, einen Posten als Direktor des Bauamts und stellvertretender Bürgermeister. Zwei Jahre später, als Lima zum Bürgermeister avancierte, übernahm den strategischen Posten im Bauamt der zweite Mafiapolitiker, Vito Ciancimino. Ciancimino war der Sohn eines Friseurs aus Corleone, dessen Zigarettensucht ihm eine Reibeisenstimme verpasst hatte, die seiner ätzenden Persönlichkeit entsprach. Im Zuge ihrer unseligen Zusammenarbeit richteten Lima und Ciancimino in Palermo entsetzliche Verwüstungen an und ernteten dabei großen Reichtum und immense Macht.
    Männer wie Lima und Ciancimino waren die sogenannten »jungen Türken« – Vertreter einer aufstrebenden neuen Art christdemokratischer Politiker, die sich allenthalben in Sizilien und Süditalien gegen die alten Granden durchsetzten. In den fünfziger Jahren vergrößerte sich die Bandbreite verfügbarer Posten und Gefälligkeiten für korrupte Politiker dramatisch. Der Staat wuchs. Die Regierung verstärkte ihre bereits greifbare Anwesenheit im Banken- und Kreditwesen. Unterdessen riefen Kommunalräte Agenturen ins Leben, die sich um Dienstleistungen wie Müllabfuhr und öffentliches Transportwesen kümmerten. Siziliens neue Landesregierung gründete eigene halbstaatliche Organisationen. Als die Wirtschaft wuchs, und mit ihr der Wunsch nach staatlicher Intervention, kamen weitere Verwaltungsapparate hinzu. 1950 gründete die christdemokratische Regierung, angesichts der skandalösen Armut und Rückständigkeit Süditaliens, die
Cassa per il Mezzogiorno
, aus der sie große Summen etwa in die Urbarmachung von Land, in die Infrastruktur und dergleichen fließen ließ. Geld aus der
Cassa per il Mezzogiorno
brachte den Christdemokraten Stimmen ein und den Menschen im Süden Essen auf den Tisch. Doch mit ihren Bemühungen, eine dynamische neue Schicht von Unternehmern und Fachkräften zu fördern, scheiterten sie kläglich. Wie sich herausstellte, waren die einzige wirklich dynamische Klasse im Süden die »jungen Türken« der Christdemokraten. Die
Cassa per il

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